"Bayerische Rinderstudie" / 2

Frankfurter Rundschau, 14.02.01

Die Handys und das liebe Vieh


Eine bayerische Studie, über deren Auslegung die Politiker noch streiten, zeigt Einflüsse von Elektrosmog auf Rinder
Von Iris Hilberth (München)

Dick wie ein Telefonbuch ist das Schriftstück, das Fachtierarzt Christoph Wenzel da in den Händen hält. "Die Deutlichkeit unserer Ergebnisse kann hier nachgelesen werden", sagt er. Zwei Jahre lang hat er mit anderen Wissenschaftlern der Universität München und Kollegen aus Gießen daran geforscht, ob elektromagnetische Felder von Mobilfunkanlagen Einfluss auf Gesundheit, Leistung und Verhalten von Rindern haben. Und jetzt gibt es im bayerischen Landtag unterschiedliche Auffassungen über die Aussagen der so genannten Rinderstudie. "Nichts Neues" finden die Auftraggeber im bayerischen Umweltministerium und geben per Pressemitteilung Entwarnung. "Es steht eine Menge drin, um kritisch mit dem Thema umzugehen", meint Ruth Paulig von den Grünen. Auch Tierarzt Wenzel betont, während er noch einmal im Resümee blättert: "Die Phänomene geben Anlass, politisch und wissenschaftlich zu handeln."

Die Rinder und die Handys. Damit, sagt das Umweltministerium, hat sich weltweit bislang niemand sonst beschäftigt. Begonnen hat die Sache vor mittlerweile sieben Jahren auf einem Bauernhof im Chiemgau. "Ich hab den Hof jetzt zwanzig Jahre", erzählt Joseph Altenweger, "und ich hab ihn immer gut geführt. Aber ab dem Jahr 1994 war des nicht mehr zu beherrschen." Miss- und Fehlgeburten häuften sich, Kühe wurden nicht mehr trächtig und benahmen sich merkwürdig. An Futter und Tierhaltung konnte es nicht liegen, stellte der bayerische Tiergesundheitsdienst fest. So war Bauer Altenweger mehr und mehr davon überzeugt, dass die nahen Mobilfunkmasten schuld an den "Auffälligkeiten" seien. "Der Hof steht ja im Fadenkreuz von drei", so der Landwirt, "und die mussten der Auslöser sein, weil wir vorher die Probleme nicht hatten."

Auch andere Bauern berichteten von ähnlichen Phänomenen, so dass das bayerische Umweltministerium vor drei Jahren die Studie in Auftrag gab. Auf 38 Bauernhöfen in Bayern und Hessen wurde das Vieh unter die Lupe genommen. Durch eine Einteilung in vier Gruppen sollte die verschieden starke Exposition verglichen werden. Die Gießener Wissenschaftler machten bei den Kühen ein großes Blutbild, die Münchner Gruppe war für den verhaltenskundlichen Teil verantwortlich.

Wenzels Fazit: "Das Wiederkau- und Liegeverhalten ist gestört." Zudem sei eine Beunruhigung der Tiere festgestellt worden, "die Ausschüttung des Stresshormons unterstützt diese These". Ein denkbares Szenario, das aber die vorliegende Arbeit nicht beweise, könnte eine physiologische Imbalance, die Schwächung der Konstitution und die Reduzierung der unspezifischen Immunität sein. Eine Kuh, die in der Nähe eines Mobilfunkmasts lebt, wäre somit krankheitsanfälliger. Wenn auch, so Wenzel, das Konzept der Feldstudie gewisse Schwächen aufweise, so zeigten die signifikanten Ergebnisse alle in die gleiche Richtung: "

Es darf keine Entwarnung gegeben werden."

Das Umweltministerium aber stellte fest: "Ein direkter Zusammenhang zwischen der Strahlung von Mobilfunk-Antennen und der Gesundheit von Rindern konnte nicht nachgewiesen werden." Ein Gefährdungs-Szenario durch Mobilfunk sei nach Auswertung der Studie nicht erkennbar, nach Ansicht der Wissenschaftler aber auch nicht hundertprozentig auszuschließen. Minister Werner Schnappauf (CSU) folgerte daraus: Es muss weiter geforscht werden, und zwar vom Bund.

Weiteren Forschungsbedarf sieht zwar Wenzel auch, aber auf Grund der vorliegenden Ergebnisse könnten jetzt schon Maßnahmen ergriffen werden. "Sonst hängt unsere Arbeit in der Warteschleife, und es vergehen weitere Jahre."

800 000 Mark hat die Rinderstudie gekostet, die Hälfte zahlten die Mobilfunkbetreiber. "Und das ist nicht einzusehen", moniert die Grüne Paulig. Auch der fraktionslose Abgeordnete Volker Hartenstein ist empört: "Als Gegenleistung durften die Vertreter der Mobilfunkbranche Einfluss auf die Auswahl der Höfe nehmen." Denkbar sei ja, dass die Mobilfunkbetreiber Höfe ausgewählt hätten, in deren Nähe eine Sendeanlage installiert wurde, allerdings erst kurz vor Beginn der Studie. Dadurch würde das Ergebnis entsprechend abgeschwächt. Hartenstein verweist auf die Schlussfolgerung im Kurzbericht der Studie: "Die landwirtschaftlichen Betriebe hätte man sicher auch sorgfältiger auswählen können." Unqualifiziert oder absichtlich unsachgerecht sei man vorgegangen bei der Expositionsermittlung, meint Hartenstein. Und er erzählt von einem Betrieb, in dem neun Frequenzen festgestellt worden seien, die Messungen aber nur eine relativ geringe Gesamtimmission ergeben hätten. Darüber verwundert, schaute Hartenstein vor Ort nach den Gründen. Der Stall sei auf einer Seite durch einen Erdwall geschützt, auf der anderen Seite hätte man durch die Fenster auf den Sendemasten schauen können. "Die Messungen wurden an der abgewandten Ostseite im geschützten Mittelteil durchgeführt, an der Westseite aber traten in der Rinderherde mehrere Aborte auf."

Damit ist der Landtagsabgeordnete, der bis 1999 der Fraktion der Grünen angehörte, mit seiner Kritik noch nicht am Ende. Mit der nun vorliegenden Fassung der Studie will sich Hartenstein nicht abspeisen lassen. "Hier ist Einfluss genommen worden", sagt er. Ihm lägen Vorfassungen aus Gießen vor, in denen von "hochsignifikanten" Auswirkungen die Rede sei. In der Endfassung fehle dieser Part allerdings. "Wenn das Zahlenmaterial das hergibt, muss das auch da so stehen." Es gebe für die Weglassung nur zwei Möglichkeiten. Die Wissenschaftler hätten das selbst geändert, oder das Ministerium hätte Druck gemacht. "Es hat vorher verschiedene Arbeitsfassungen gegeben", sagt Wenzel, das sei immer so. An der Endfassung aber hätte keiner etwas verändert. Das Ministerium wies die Vorwürfe Hartensteins entschieden zurück und bezeichnete sie als "völligen Unsinn".

Dennoch wird es am 15. März im Landtag eine Anhörung aller an der Studie beteiligten Wissenschaftler geben. Das hat Hartenstein im Umweltausschuss durchgesetzt. Und die SPD-Abgeordnete Waltraud Schmidt-Sibeth kann von einem Gespräch mit dem beteiligten Wissenschaftler Alexander Herzog berichten, der bereit sei, eine neue Auswertung vorzunehmen. "Es geht um eine andere Zuordnung der Rinder", sagt Schmidt-Sibeth, damit könnten viel klarere Ergebnisse erzielt werden. Wenzel findet das unnötig, "wir ermuntern doch deutlich zu politischem Handeln". Vor allem die Grenzwerte müssten endlich mal diskutiert werden.

Nach Meinung des Medizinphysikers Lebrecht von Klitzing gehören die "massiv geändert"; denn das biologische System würde weit unter den Grenzwerten und zudem individuell reagieren. "Wir haben es mit unterschiedlichen Strahlungen zu tun, aber es wird alles über einen Kamm geschert." Das biologische System reagiere auf die Pulsung der elektromagnetischen Felder, von Klitzing berichtet von erhöhter Nervosität bis hin zu Ohrensausen oder Atemnot. Seine Forderung: "Vor Einführung einer neuen Technik muss die biologische Verträglichkeit von einer unabhängigen Gruppe untersucht werden."

Die Rinderstudie hält Schmidt-Sibeth in diesem Zusammenhang für "unglaublich wichtig". Den Menschen sei immer vorgehalten worden, nicht die Belastung selbst, sondern die Angst davor mache sie krank. "Aber Rindern kann man das nicht unterstellen."

 

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