Gefahr: Internet aus der Steckdose

Von: Reinhard Rückemann [rueckemann@papyrus-germany.com]

Gesendet: Dienstag, 21. Mai 2002 21:05

 

Internet aus der Steckdose bei RWE vor dem Aus

21. Mai 18:17

 

Der Versorgungskonzern RWE gibt nach langen Verzögerungen sein Angebot für Internet-Zugang über das Stromnetz auf. Das berichten Internet-Medien.

 

RWE will offenbar sein «Powerline»-Projekt für schnellen Internet-Zugang über das Stromnetz aufgeben. Allen Mitarbeitern soll bis Ende Juni gekündigt werden, berichtete der Branchendienst «heise online» am Dienstag unter Berufung auf gut unterrichtete Kreise. Bereits vor einigen Wochen seien die Verträge mit den externen Callcentern beendet worden. Weder RWE noch die Tochter Powerline waren am Dienstagabend für eine Stellungnahme zu erreichen.

 

Werbung zeigt zunehmende Distanz

 

Mit RWE würde sich der zweite deutsche Energieversorger von seinen ehrgeizigen Internet-Plänen verabschieden: Ende 2001 hatte bereits Eon die Entwicklung gestoppt. Damals beharrte RWE noch darauf, nicht nachziehen zu wollen, obwohl das Projekt weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan lag.

 

Allerdings zeigte sich in der TV-Werbung bereits eine zunehmende Distanzierung von den Plänen: Während Powerline zunächst als Einzelprodukt beworben wurde, rutschte das Angebot Ende 2001 in den Zusammenhang einer allgemeinen Image-Kampagne. In den aktuellen RWE-Spots ist von Powerline gar nicht mehr die Rede. (nz)

 

Quelle: http://www.netzeitung.de/servlets/page?section=5&item=190685

Internet aus der Steckdose: Technik voller Tücken

RWE startet den Internetzugang übers Stromnetz – doch die Technik steckt noch voller Tücken.

Darauf haben Deutschlands Internetfreaks gewartet. Mit rasantem Tempo im Web surfen, ohne Zeitlimit telefonieren, Musik hören und Videos anschauen – und alles übers Stromkabel für nur 49 Mark im Monat. Powerline-Communication (PLC) macht's möglich: Einfach Modem in die Steckdose stecken, PC oder Telefon einstöpseln, fertig.

Mit solchen Versprechen trommeln Energiekonzerne wie RWE, MVV Energie oder die Energie Baden-Württemberg (EnBW) seit Jahren für ihre Angebote. Regelmäßig zur Computermesse CeBIT berichteten RWE und ihr Schweizer Technologiepartner Ascom über große technologische Fortschritte und die baldige Verfügbarkeit von PLC-Diensten – mit teilweise durchschlagender Wirkung auf die Aktienkurse: Allein im März 1999 schoss etwa nach entsprechenden Meldungen der Wert des RWE-Papiers binnen zweier Tage um 23, jener der Ascom-Anteile gar um mehr als 35 Prozent in die Höhe.

Nach jahrelangen Versuchen in Testnetzen soll am 1. Juli nun endlich der Serienbetrieb starten. RWE-Kunden in Essen und Mülheim kommen als erste in den Genuss des schnellen, PowerNet genannten Datenstroms. Doch der erhoffte Durchbruch in Sachen Highspeed-Internet aus der Steckdose erscheint auch wenige Tage vor dem offiziellen Marktstart mehr als fraglich.

Denn RWE und Co setzen auf eine Technik, an deren Serienreife erhebliche Zweifel bestehen: Kritiker wie der Deutsche Amateur-Radio-Club (DARC) warnen, dass Powerline-Signale im Äther mit anderen Sendern wie Polizeifunk oder Radiostationen kollidieren. Ihr Argument: Stromkabel wirken wie Antennen, wenn ihnen zusätzlich zum behäbigen Wechselstrom, quasi huckepack, Kurzwellenfrequenzen mit digitalen Onlinedaten oder Telefongesprächen aufgezwungen werden.

Der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) sind die Vorbehalte bekannt, doch unternehmen will sie vorerst nichts. „Wir gehen davon aus, dass die Betreiber die Grenzwerte einhalten“, wiegelt Behördensprecher Harald Dörr ab. Auskunft über eigene Messungen zum Störpotenzial von PLC gibt die RegTP nicht – obwohl die Behörde nach Informationen der WirtschaftsWoche über entsprechende Daten verfügt.

Peter Saffran, Beauftragter für Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) bei der Neusser Firma Esser Security Systems, kennt die geheimen Messprotokolle der RegTP: Aus ihnen gehe klar hervor, dass die Powerline-Signale den Funkverkehr stören können. Durch eigene Nachforschungen hat der Neusser Technikspezialist zudem festgestellt, wie die Powerline-Betreiber tricksen: „In Gebäuden, die an Feldversuchen der Stromkonzerne teilnahmen, wurden eigens abgeschirmte Kabel verlegt, um die Abstrahlung zu verhindern.“ Und auch den Grund für die Zurückhaltung der RegTP glaubt Saffran zu kennen: „Die Beamten der RegTP mussten unter Androhung fristloser Kündigung eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.“

Diethard Hansen, Geschäftsführer der Schweizer Firma Euro EMC Service, der unter anderem als Gutachter für die RegTP tätig ist, hingegen erzählt von Messungen, bei denen die Störstrahlung bis zu 100-Mal höher war, als es die erst Ende März vom Bundesrat beschlossene „Nutzungsbestimmung 30“ erlaubt. Dabei ist die lasche Norm NB 30 nicht nur ein deutscher Alleingang, sie steht auch im Widerspruch zu strengeren Grenzwerten im Ausland.

Obwohl bei der RegTP bis zum Bundesratsbeschluss an die Hundert Einwände eingingen, stellte sich das Bundeswirtschaftsministerium als zuständige Aufsichtsbehörde taub, kritisieren die Funker des DARC. Minister Werner Müller protegiere die Powerline-Technik, weil sie wichtig sei für den Internetanschluss von Schulen und für sichere Arbeitsplätze.

Trotzdem können sich die PLC-Verfechter nicht mit allen Forderungen durchsetzen. Der Elektronikriese Siemens beispielsweise, dessen Fachleute in diversen Gremien massive Lobbyarbeit leisteten, versuchte die Grenzwerte noch weiter zu verwässern und so wenig genutzte Kurzwellenfrequenzen einzuheimsen. Als das nichts fruchtete, zog Siemens Anfang März den Stecker und stieg aus Powerline aus.

Ein Schritt, der auch in der PLC-Truppe der RWE heftige Diskussionen darüber auslöste, ob man die Sache nicht lieber beerdigen soll. Ein RWE-Insider bestätigte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass die Bedenken von höchster Stelle abgebürstet wurden. Aus Imagegründen und mit Blick auf die Aktionäre müsse die Sache durchgezogen werden. Kaum verwunderlich angesichts der Kursausschläge nach den vollmundigen Ankündigungen der Vergangenheit.

Doch Analysten haben die Technologie ohnehin längst abgeschrieben. „Der CeBit-Effekt ist verpufft“, urteilt Gerlinde Gollasch, Analystin bei der Bankgesellschaft Berlin. Für die Bankerin ist Powerline bestenfalls ein Zusatzdienst, der der Ware Strom zu einem schärferen Markenprofil verhelfe. Ein tragendes Geschäft werde daraus nicht. Gollasch: „Powerline ist ein Nischenprodukt, das höchstens zwei Jahre am Markt bestehen wird.“

Wenn überhaupt: „Es braucht nur eine einstweilige Verfügung und die Sache ist tot“, warnt der Schweizer Fachmann Hansen angesichts drohender Sammelklagen. Denn wenn das Thema Datenstrom erst einmal in Verbindung mit Elektrosmog und damit möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit ins Blickfeld der Umweltschützer gerät, wird es für die Powerline-Betreiber richtig spannend. Bisher haben sich Bürgerinitiativen nämlich primär auf den Mobilfunk eingeschossen und noch nicht erkannt, dass bald jedes Stromkabel eine Antenne sein könnte.

Jetzt oder nie heißt deshalb das Motto bei der Schweizer Ascom. Der Telekommunikationsausrüster versorgt RWE und die EnBW nach dem Rückzieher von Siemens mit seiner eigenen PLC-Technik. „Wir halten die NB 30 ein“, beteuert Stefan Riva, Vorstand der Ascom Powerline Communications AG. Wie, verrät er nicht – und provoziert so den Argwohn anderer PLC-Fachleute: „Entweder hat Ascom tatsächlich eine Wundertechnik in der Hinterhand oder sie bluffen“, wundert sich beispielsweise Frank Brandt von der Berliner PLC-Beratung Conaxion, die sich auf Powerline-Lösungen für die Hausvernetzung spezialisiert hat.

Andere Länder haben das Thema längst abgehakt. In England und Frankreich, wo Lang- und Kurzwellenfrequenzen intensiver genutzt werden, wird die Technik wegen Problemen mit der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) definitiv nicht eingeführt. Das hatte bereits vor zwei Jahren zum Ausstieg des PLC-Pioniers Nortel geführt.

Unterdessen läuft den Powerline-Protagonisten die Zeit davon. Vor allem die Deutsche Telekom hat mit ihrem schnellen Internetzugang T-DSL mittlerweile einen kaum noch einholbaren Vorsprung. Entsprechend mies ist die Stimmung, denn selbst Mitarbeiter von RWE oder EnBW sprechen hinter vorgehaltener Hand von zwei bis drei Jahren, bis ihr Datenstrom wirklich für den Massenmarkt attraktiv ist – und das ist zu spät.

20.06.2001 - 18.26  (c) WirtschaftsWoche heute 2001
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