Mobilfunkindustrie bald bankrott?

SZ 30.4.2001

Wachstumsknick im Garten Eden

Der Boom in der Mobilfunk-lndustrie scheint vorbei zu sein

Es ist noch nicht all zu lange her, da priesen die Manager in der Telekommunikations-Industrie ihre Branche als Hoffnungsträger schlechthin. Besonders das Handy-Geschäft werde ein noch nie da gewesenes Wachstum erzielen und viele Menschen würden in den High-Tech-Unternehmen Arbeit finden. Sie würden technische Neuheiten entwickeln, die den Alltag beträchtlich erleichterten. Ein neuer wirtschaftlicher Garten Eden schien in greifbarer Nahe zu sein.

Mitten hinein in diese Versprechen platzt nun eine schlechte Nachricht nach der anderen. Die selben Manager, die die schöne neue Welt predigten, schockieren ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit verfehlten Gewinnzielen und Entlassungen. In den vergangenen drei Monaten haben die Konzern-Bosse den Abbau von weltweit insgesamt mehr als 100 000 Stellen angekündigt. Auch Siemens streicht 6000 Arbeitsplätze. Und Hoffnungen auf baldige Besserung im Mobilfunkgeschäft werden vom Vorstandschef Heinrich von Pierer nicht gerade geschürt:"Wir erwarten, dass das Umfeld in den nächsten Monaten noch schwieriger wird". Hans Geyer, Vizepräsident der Handysparte beim weltgrößten Chiphersteller Intel setzt noch eins drauf "Wir stehen vor der Situation, dass eine Industrie auf den Bankrott zusteuert".

Das böse Erwachen hat mehrere Gründe. Der wichtigste ist die nachlassende Kaufbegeisterung. Noch im vergangenen Jahr erlebten die Handy-Händler einen riesigen Ansturm. 24 Millionen in Deutschland lebende Kundinnen und Kunden legten sich ihr erstes Mobilfunk-Telefon zu. Die Zahl der Handy-Besitzer verdoppelte sich auf 48 Millionen und übertraf damit sogar die Zahl der Festnetzanschlüsse. Mit anderen Worten: Wer ein Handy will, hat es mittlerweile gekauft. In diesem Jahr werden nur noch sechs Millionen Menschen die handlichen Geräte kaufen. Das jedenfalls fanden deutsche Marktforscher heraus. Dass die Handys mit vorausbezahlter Telefon-Karte (Prepaid) teurer geworden sind, dämpft die Kaufbereitschaft zusätzlich. Vor Weihnachten kostete ein derartiges Einsteigerpaket bei dem keine Grundgebühr anfällt noch weniger als 50 Mark. Mittlerweile haben die Mobilfunk-Unternehmen die Preise verdoppelt, weil sie die Verluste im Prepaid-Geschäft reduzieren wollen. Darüber ärgern sich besonders die Jugendlichen. Sie verlangen am meisten danach, haben jedoch am wenigsten Geld zur Verfügung.

Auch den Ersatz ihrer alten Geräte schieben viele Handy-Besitzer hinaus. Denn die Marketingmanager der Mobilfunk-Unternehmen kündigen vollmundig den Aufbruch in ein neues technisches Zeitalter an. Handys sollen schon bald die mobilen Alleskönner sein. Sie sollen den Weg ins nächste Restaurant weisen, die aktuellsten Börsenkurse liefern und das Foto der neugeborenen Enkelin auf den Bildschirm zaubern. Um solche Angebote zu nutzen, braucht man neue technisch weiter entwickelte Mobil-Telefone. Die legt sich derzeit aber kaum jemand zu, weil die angekündigten mobilen Dienste noch gar nicht existieren. Und selbst wer eines dieser High-Tech-Geräte kaufen wollte, hätte Pech. Nur wenige sind bisher produziert und in den Läden erhältlich.

Zu einem ist die Krise in der Handy-Branche freilich gut. Sie zeigt, dass es um ein ganz normales Geschäft geht - nicht um die Wiederentdeckung des Paradieses.Judith Raupp