ManagerMagazin 08/01: der Weg in den Wahnsinn

Zu hoch gepokert
Milliardenverluste, gigantische Schulden und Massenentlassungen - die Zukunftsbranche hat blind auf waghalsige Prognosen und steigende Aktienkurse vertraut. Wer wird die Krise überleben? Von Anne Preissner.

Arg verschwitzt, aber erleichtert labten sich die Herren an Moët Chandon und nahmen eine weiße Papp-Urkunde mit eingeprägtem Goldadler in Empfang. Am 17. August vergangenen Jahres ging in einer Mainzer Kaserne die teuerste Auktion der Welt zu Ende. Für fast 100 Milliarden Mark sicherten sich sechs Telefonbetreiber je eine UMTS-Lizenz in Deutschland. Viel Geld für ein Stück Luft.

Knapp ein Jahr nach dem mobilen Auktionswahn ist die gesamte Branche wie gelähmt vor Entsetzen. Immer drängender stellen sich Konzernlenker die bange Frage: Erweisen sich die UMTS-Milliarden als gigantische Fehlinvestition?

Der Fall ist einmalig in der Wirtschaftsgeschichte. Eine ganze Industrie vertraute blind den Schwindel erregenden Prognosen von Analysten und Beratern. Die Manager haben die Wachstumsraten aus der Frühphase der mobilen Telefonie schlicht hochgerechnet, die rasante Verbreitung des Internets spornte sie zu immer waghalsigeren Erfolgsrechnungen an.

Gerätehersteller und Netzbetreiber haben sich in ihrer Begeisterung gegenseitig überflügelt. Und sie haben mit unhaltbaren Versprechungen die Aktionäre übertölpelt.

Kaum einer hat vor den Risiken gewarnt. Kaum einer hat gefragt, ob das technisch Machbare auch sinnvoll ist; ob die Kunden wirklich Tag und Nacht am Handy hängen wollen.

Und jetzt die Ernüchterung: Das Wachstum im Mobilfunk verlangsamt sich dramatisch. Der Umsatz pro Kunden sinkt. Das Massenpublikum will von Spielereien wie der Kursabfrage via Handy und Internet nichts wissen.

Was nun? Bei der Mehrzahl der Telefonfirmen türmen sich die Schulden, die Aktienkurse bewegen sich in beängstigender Geschwindigkeit abwärts. Einige kleinere Mobilfunkgesellschaften, vor einem Jahr noch als Hoffnungswerte gehandelt, haben Konkurs angemeldet.

Wer überleben will, muss sparen. Alle Betreiber, sei es die Deutsche Telekom oder British Telecom (BT), schränken ihre Ausgaben drastisch ein. Doch die größte Investition - der Aufbau der UMTS-Infrastruktur - lässt sich nicht aufschieben. Schließlich ist die Hoffnung, dass die Milliarden für die UMTS-Lizenzen irgendwann wieder zurückfließen, noch nicht ganz gestorben.

ManagerMagazin 08/01

Zu hoch gepokert

Milliardenverluste, gigantische Schulden und Massenentlassungen - die Zukunftsbranche hat blind auf waghalsige Prognosen und steigende Aktienkurse vertraut.

Arg verschwitzt, aber erleichtert labten sich die Herren an Moet Chandon und nahmen eine weiße Pappurkunde mit eingeprägtem Goldadler in Empfang.

Am 17. August vergangenen Jahres ging in einer Mainzer Kaserne die teuerste Auktion der Welt zu Ende. Für fast 100 Milliarden Mark sicherten sich sechs Telefonbetreiber je eine UMTS-Lizenz in Deutschland. Viel Geld für ein Stück Luft.

Knapp ein Jahr nach dem mobilen Auktionswahn ist die gesamte Branche wie gelahmt vor Entsetzen. Immer drängender stellen sich Konzernlenker die bange Frage: Erweisen sich die UMTS-Milliarden als gigantische Fehlinvestition?

Der Fall ist einmalig in der Wirtschaftsgeschichte. Eine ganze Industrie vertraute blind den Schwindel erregenden Prognosen von Analysten und Beratern. Die Manager haben die Wachstumsraten aus der Frühphase der mobilen Telefonie schlicht hochgerechnet, die rasante Verbreitung des Internets spornte sie zu immer waghalsigeren Erfolgsrechnungen an.

Gerätehersteller und Netzbetreiber haben sich in ihrer Begeisterung gegenseitig überflügelt. Und sie haben mit unhaltbaren Versprechungen die Aktionäre übertölpelt.

Kaum einer hat vor den Risiken gewarnt. Kaum einer hat gefragt, ob das technisch Machbare auch sinnvoll ist; ob die Kunden wirklich Tag und Nacht am Handy hängen wollen.

Und jetzt die Ernüchterung: Das Wachstum im Mobilfunk verlangsamt sich dramatisch. Der Umsatz pro Kunden sinkt. Das Massenpublikum will von Spielereien wie der Kursabfrage via Handy und Internet nichts wissen.

 

Der Weg in den Wahnsinn

Die Analysten und Berater suggerierten den Anlegern fantastische Geschäftspotenziale im mobilen Internet. Die Kurse der Telekom-Unternehmen explodierten.

Die Telekom-Manager setztenblauäugig auf tolle Technik und rasantes Marktwachstum. Jetzt liegt eine erdrückende Schuldenlast auf den Unternehmen.

Die Hersteller bauten ihre Produktionskapazitäten dramatisch aus. Nun müssen sie zahlreiche Fabriken schließen.

Was nun? Bei der Mehrzahl der Telefonfirmen türmen sich die Schulden, die Aktienkurse bewegen sich in beängstigender Geschwindigkeit abwärts. Einige kleinere Mobilfunkgesellschaften, vor einem Jahr noch als Hoffnungswerte gehandelt, haben Konkurs angemeldet.

Wer überleben will, muss sparen. Alle Betreiber, sei es die Deutsche Telekom oder British Telecom (BT). schränken ihre Ausgaben drastisch ein. Doch die größte Investition - der Aufbau der UMTS-Infrastruktur - lässt sich nicht aufschieben. Schließlich ist die Hoffnung, dass die Milliarden für die UMTS-Lizenzen irgendwann wieder zurückfließen. noch nicht ganz erstorben.

Der Ausweg aus der misslichen Situation: Unternehmen wie Mobilcom zwingen ihre Lieferanten, die Errichtung der UMTS-Netze vorzufinanzieren.

Die Telefonkonzerne treiben die Hersteller in die Enge. Sie pochen auf Vorkasse, sie feilschen um jeden Pfennig, sie stornieren Aufträge. Die Folge: Netzausrüster, Handyhersteller und Chipproduzenten wie Siemens, Infineon, Lucent, Alcatel, Philips und Ericsson schließen Dutzende von Fabriken und entlassen zehntausende von Mitarbeitern.

Weitere schmerzhafte Einschnitte stehen bevor. In den nächsten Jahren werden Fusionen, Übernahmen und Pleiten die Zahl der Hersteller und Betreiber deutlich verringern.

Kollektive Krise

Lange Zeit ging es den europäischen Telekom-Unternehmen nur um eines: Sie wollten ihren Marktanteil ausweiten - beinahe um jeden Preis. Jetzt steht die Branche vor einer Konsolidierungsphase.

Der Marktführer

Vodafone:Mit über 93 Millionen Kunden und einer starken Präsenz in Europa und den USA ist die britische Mobilfunkgesellschaft weltweit am besten positioniert. Der Konzern ist relativ gering verschuldet, kann beim Einkauf von Infrastruktur seine Größenvorteil nutzen.

Die Hoffnungsträger

Deutsche Telekom:T-Mobile ist abgesehen vom Heimmarkt in Westeuropa nur schwach vertreten; die britische Tochter macht hohe Verluste. Die Engagements in Osteuropa zahlen sich erst langfristig aus. Entscheidend für die Entwicklung ist die Integration des US-Anbieters Voicestream.

France Telecom: Der Ex-Monopolist ist dank der Übernahme der britischen Mobilfunkgesellschaft Orange international gut aufgestellt. In Deutschland hat Orange die Option, die Mehrheit an Mobilcom zu übernehmen. France Telecom muss dringend den Schuldenberg abbauen. 

Telecom Italia: Der italienische Primus Telecom Italia Mobile (TIM) ist nur im Heimmarkt sehr erfolgreich, ihm mangelt es an europaweiter Präsenz. TIM gilt als begehrtes Übernahmeziel, vor allem für die Deutsche Telekom.

British Telecom: BT Wireless ist hinter Vodafone und Orange nur noch die Nummer drei im englischen Markt. In Deutschland hat BT mit Viag Interkom den kleinsten und schwächsten Mobilfunkanbieter erworben, der nur geringe Chancen hat, den UMTS-Wettbewerb zu überstehen.

Telefonica:Die Spanier sind im eigenen Land und inSüdamerika gut aufgestellt. In Deutschland haben sie zusammen mit der finnischen Sonera eine UMTS-Lizenz erworben. Dieses Konsortium verfügt hier zu Lande über keinen Kundenstamm, daher sind die Erfolgsaussichten sehr gering.

KPN:Die Niederländer haben sich mit der Übernahme des deutschen Mobilfunkanbieters E-Plus völlig verausgabt und Schulden in Rekordhöhe angehäuft. KPN will mit der erheblich kleineren belgischen Gesellschaft Belgacom fusionieren. France Telecom soll angeblich Interesse an E-Plus haben.

Eines der ersten Opfer ist die holländische Telefongesellschaft KPN: Sie hat 1999 in völliger Überschätzung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit die deutsche Mobilfunkgesellschaft E-Plus übernommen. Jetzt wollen die Niederländer mit dem belgischen Marktführer Belgacom fusionieren, um der Pleite zu entrinnen.

Aus der Traum vom leicht verdienten Geld. Nicht einmal im einst hochprofitablen Stammgeschäft, der Telefonie über das Festnetz, erwirtschaften die Unternehmen noch auskömmliche Gewinne. Ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb lässt die Preise purzeln, die Margen schrumpfen.

Gleiches gilt im Online-Geschäft, das den meisten Anbietern bislang nur Verluste einbringt.

Und nun auch noch das rückläufige Wachstum im Mobilfunk. In Europa besitzen im Durchschnitt schon über 60 Prozent der Bevölkerung ein Handy; der Markt nähert sich der Sättigungsgrenze.

Die Entwicklung war vorhersehbar. Wenn der Absatz jedes Jahr mit mehr als 100 Prozent wächst, lässt sich leicht ausrechnen, wann jede Familie ein oder zwei Handys besitzt und sich dann kein drittes mehr kauft.

Doch solche Überlegungen zählten lange Zeit nicht. Den Unternehmen ging es nur um eines: Sie wollten ihren Marktanteil ausweiten. Vor allem in Deutschland, Großbritannien und Frankreich kauften Mobilfunkanbieter Handys teuer ein und verschenkten sie sogar an potenzielle Kunden.

So wurden die Kundenlisten immer länger. Allein in Deutschland hat sich die Zahl der Mobilfunkteilnehmer im vergangenen Jahr um 107 Prozent auf über 48 Millionen erhöht.

Zu früh gefreut: Die Mehrzahl der Neukunden sind so genannte Prepaid-Kunden, die keine monatliche Grundgebühr an den Netzbetreiber bezahlen und nur wenig telefonieren. Clevere Zeitgenossen kassierten gleich bei mehreren Mobilfunkbetreibern Handys ein und verscherbelten die Geräte teuer weiter.

Glossar

GSM (Global System for Mobile Communication) ist heute weltweit das am meisten genutzte digitale Mobilfunksystem. Die geringe Übertragungsbreite eignet sich nicht für Internet-Anwendungen.

WAP (Wireless Application Protocol) ist ein Softwarestandard, der wie ein Intemet-Browser die Übermittlung von Web-Inhalten oder E-Mails auf mobile Geräte ermöglicht. Der WAP-Standard wird heute im bestehenden GSM-Mobilfunk-netz eingesetzt.

GPRS (General Packet Radio Service) heißt der neue Mobilfunkstandard, bei dem die Informationen wie bei der Internet-Technik in Form von kleinen Datenpaketen verschickt werden. Diese Technik / ermöglicht eine Übertragung mit Raten von bis zu 115 Kilobit/Sekunde. Das Netz in Deutschland steht, die ersten Handys sind auf dem Markt.

UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) ist der neue digitale Weltstandard für Mobilfunk, der ab Anfang 2002 die GSM-Netze ergänzen soll. UMTS ermöglicht Datenübertragungsraten von bis zu zwei Megabit pro Sekunde -200-mal so viel wie heute.

„Die Netzbetreiber haben in ihrem Subventionswahnsinn zu hoch gepokert", sagt Holger Grawe, Fondsmanager bei der WestLB Asset Management. Grawe schätzt, dass 20 Prozent aller Prepaid-Kunden in Deutschland ihr Telefon nicht nutzen.

Zwangsläufig sinken die Umsätze pro Kunden,die Profite schnurren zusammen.

Verzweifelt suchen die Mobilfunkbetreiber den Anschluss an vergangene Boomzeiten zu finden. Sie preisen das Handy als mobilen Alleskönner -es soll Kreditkarten, Organizer, Strichcodeleser oder auch den Gameboy ersetzen. Doch wollen die Leute für solchen Schnickschnack wirklich bezahlen?

Nun starrt die Branche gebannt gen Osten. Seit der japanische Mobilfunkbetreiber NTT Docomo im Februar 1999 „I-Mode" eingeführt hat, steigt die Zahl der Abonnenten,nimmt derUmsatz pro Kunden zu.

Was machen über 23 Millionen Japaner mit ihrem I-Mode-Handy? Sie amüsieren sich. Für eine monatliche Extragebühr von zwei bis sechs Mark laden sie sich neue Klingeltöne, Spiele und Bildschirmschoner aufs

Gerät. Ob der fernöstliche Spieltrieb auch die Menschen im Westen erfasst, ist fraglich. Bislang lässt sich nicht einmal sagen, ob sich Anwendungen wie Homebanking oder Web-Shopping durchsetzen werden.

Die Prognosen für das Geschäft im mobilen Netz (M-Commerce) weichenstark voneinander ab. So verkünden die Experten der Marktforschungsgesellschaft Durlacher, die Umsätze im mobile -Business würden bereits im Jahr 2003 europaweit auf über 48 Milliarden Mark steigen.

Ganz anders die Konkurrenz Jupiter. Sie geht für den gleichen Zeitraum von Umsätzen in Höhe von knapp 4 Milliarden Mark aus - 44 Milliarden weniger.

Weil die Zukunft so schrecklich ungewiss ist, rechnen sich die Manager der Telekom-Firmen mit immer neuen Wertschöpfungsketten reich, zerbrechen sich die Köpfe über „die nutzerspezifische Konfiguration mobiler Portale".

Die Hersteller sind Opfer überzogener Wachstumsprognosen

Die schwammigen Hoffnungen aufden mobilen Zukunftsfunk erreichen bereits die Dimension des zerstobenen Internet-Hype. In Europa basteln rund 3000 Startups an M-Commerce- Angeboten, ermittelten die Berater von Booz Allen & Hamilton. Offenkundig haben die visionsgeplagten M-Commerce-Fans aus den Fehlschlägen der jüngsten Zeit nichts gelernt. Dabei müsste schon allein das Debakel um den WAP-Standard Warnung genug sein.

Die europaweit eingeführte WAP-Plattform (siehe Glossar) sollte den Einstieg in das mobile Internet ermöglichen. Doch kaum jemand nutzt den WAP-Standard - die Netze sind zu langsam, die angebotenen Dienstezu unattraktiv.

Nach dem WAP-Desaster richten sich die Hoffnungen der Betreiber auf den neuen Funkstandard GPRS, der ab Herbst im großen Stil genutzt werdensoll. GPRS verspricht einen schnellen, einfachen Web-Zugang. Wer das Handy einschaltet, ist automatisch online.

Aber gibt es tatsächlich Millionen von Handy-Telefonierern, die immer online sein wollen? Und wenn ja: Wozu braucht es noch UMTS, wenn GPRS ausreicht, um Musik aus dem Netz zu hören oder Bankgeschäfte zu tätigen?

„Für UMTS ist bislang keine Killeranwendung zu sehen", resümiert WestLB-Manager Holger Grawe.

Schöne Aussichten. Über 228 Milliarden Mark haben die europäischen Mobilfunkbetreiber in den Erwerb von Lizenzen gesteckt. Annähernd die gleiche Summe müssen sie in den flächendeckenden Ausbau der UMTS-Netze investieren.

Eine Last, die selbst die großen Konzerne schier erdrückt. Die Deutsche Telekomwill nun gemeinsam mit ihrem britischen Konkurrenten BT ihre UMTS-Netze aufbauen, um auf diesem Wege Milliardensummen einzusparen.

Die Geschäftspläne fast aller Mobilfunkanbieter sehen über viele Jahre rote Zahlen vor. Die lange Durststrecke können nur die großen Spieler im Markt wie Vodafone, die Deutsche Telekom und France Telecom durchstehen. KleinereAnbieter müssen sich zusammentun, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben (siehe Kasten Seite 71).

Mobilcom-Chef Gerhard Schmid bleibt dennoch optimistisch. Er sieht die Zukunft wie immer rosig. UMTS wird seines Erachtens zwangsläufig ein Erfolg, weil im Jahr 2010 die alten Funknetze abgeschaltet werden.

Bis es jedoch so weit ist, besteht die Gefahr, dass sich UMTS zum größten Milliardengrab entwickelt, mit dem jemals in der Industriegeschichte eine Branche belastet war. Die Lust am Champagner ist den Mobilfunkbetreibern und -herstellern jedenfalls schon jetzt vergangen.

Arme Preissner managermagazin 8/01
www.buergerwelle.de