Viele Mobilfunk-Kunden gibt es nicht!

Financial Times Deutschland 22.03.2001

Zehn Prozent aller Mobilfunkkunden gibt es gar nicht
Betreiber suchen nach neuen Modellen, um Kunden zu halten und zum Geldausgeben zu animieren
Von Ulrike Sosalla und Guido Warlimont, Hannover

Die Mobilfunkbetreiber in Deutschland haben deutlich weniger Kunden als bisher angegeben. Wie die Chefs der vier deutschen Anbieter gestern in Hannover einräumten, gelten zwischen fünf und zehn Prozent der Kunden als inaktiv, das heißt, sie haben seit mehr als sechs Monaten nicht mehr im Netz telefoniert. Die Zahl der Mobilfunkkunden in Deutschland muss damit nach einer Studie des Mobilfunkdienstes Xonio von 48 auf 42 Millionen reduziert werden.

Das Eingeständnis, mit dem der britische Weltmarktführer Vodafone vergangene Woche vorgeprescht war (FTD vom 15.3.), verweist auf ein tieferliegendes Problem der Mobilfunkbetreiber in ganz Europa. Denn obwohl sie große Mengen an Kunden haben, wissen die Unternehmen nur sehr wenig über sie. Und vor allem nutzen sie dieses Wissen bisher nicht, um Kunden gezielt zu binden oder ihnen zusätzliche Dienste anzubieten. "Dadurch schöpfen die Mobilfunkbetreiber bisher nur einen Teil der möglichen Umsätze aus", sagt Andreas Hanitsch von PricewaterhouseCoopers.

Ein höherer Umsatz pro Kunde ist aber unerlässlich, wenn die Mobilfunkkonzeme jemals die hohen Investitionen in die neuen UMTS-Mobilfunkdienste der dritten Generation wieder hereinholen wollen. Der erste Schritt dazu ist die ehrliche Zählung der Kunden.

Viag-Interkom-Geschäftsführer Hans-Burghardt Ziermann sagte, sein Unternehmen habe einen Anteil von "deutlich unter neun Prozent" an passiven Kunden. Vodafone hatte für seine Kundenbasis die Marke von neun Prozent genannt. T-Mobil-Chef Rene Obermann sagte, rund 15 Prozent der Prepaid-Kunden hätten ihr Handy drei Monate oder länger nicht genutzt. Er will diese Kunden allerdings nicht abschreiben: "Sie können wieder aktiv werden." Aufgabe der Netzbetreiber sei es, dies zu erreichen. Er geht davon aus, dass in Deutschland Ende 2001 70 Prozent der Bevölkerung ein Handy besitzen, bezogen auf aktive Kunden dürfte dieser Anteil allerdings um rund zehn Prozentpunkte niedriger liegen. Doch nicht nur die inaktiven Nutzer verderben die schönen Kundenzahlen. Keinen Zugriff haben die Betreiber auch auf jene Kunden, die ihren Vertrag nicht direkt bei ihnen, sondern bei einem Service Provider unterschrieben haben. Bezieht man diese Firmen, von denen Debitel die größte ist, mit ein, haben die beiden D-Netz-Anbieter nicht mehr 20, sondern nur noch je 13 Millionen Kunden.

Die Service Provider werden ihre Position nach Ansicht Hanitschs auch im UMTS-Markt nicht leichtfertig aufgeben. "Der Kampf um echte Kunden mit dauerhaftem Potenzial ist noch lange nicht abgeschlossen, das wäre der falsche Zeitpunkt, um jetzt aus dem Markt zu gehen."

Neu ist jedoch, dass auch die großen Mobilfunkbetreiber sich für Kooperationen aller Art öffnen, um in Zusammenarbeit mit anderen Markenunternehmen Kunden in ihr Netz zu holen und dort zu halten. "Es gibt derzeit Gespräche zwischen Mobilfunkbetreibern und Unternehmen anderer Branchen über mögliche Formen der Zusammenarbeit, bestätigt er. Dazu gehörten neben Medienfirmen auch Automobilhersteller und Banken. Der Medienkonzern Bertelsmann hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, dass er sich einen Einstieg als so genannter virtueller Netzbetreiber vorstellen könne, also als Anbieter ohne eigenes Netz.

Vorbild für diese Modelle ist Virgin Mobile in Großbritannien. Als virtueller Netzbetreiber der Telekom-Tochter One2one verkauft Virgin Mobilfunkdienste an die überwiegend jugendliche Kundschaft der Virgin-Stores und -Kinos. "Der Vorteil ist, dass Virgin einen anderen Kundentyp anspricht als wir, und dadurch wenden wir uns an einen breiteren Teil des Marktes", erklärte One2one-Chef Harris Jones gestern auf der Cebit.

So könnte es bald auch in Deutschland laufen. Schon Ende dieses Jahres könnten einige der Gespräche zu Verträgen führen, heißt es in der Branche. Berater Hanitsch rät den Betreibern dringend, sich nicht nur auf ihre eigene Marke zu verlassen. "Wichtig ist es, möglichst viele relevante Anknüpfungspunkte zum Kunden zu haben." Das sei beileibe nicht nur die Rechnung, sondern die Bindung über Transaktionen wie etwa bei Online-Banken und -Brokern, oder die emotionale Bindung an eine Marke.