Die öffentlich bekannten Elektrosensiblen sind nur die Spitze des Eisbergs

Aus Presse und TV sind von den vielen Menschen, die unter WLAN- und Mobilfunkstrahlung, Haus- und Bahnstrom, Elektrozäunen und weiteren Strahlungsquellen leiden, nur ganz wenige öffentlich bekannt. Von ihren zahllosen Leidensgenossinnen und -genossen weiß kaum jemand. Denn die meisten Elektrosensiblen wollen sich nicht als strahlungsempfindlich offenbaren, um in Beruf und Sozialleben nicht massiv benachteiligt zu sein.

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Allein in der Schweiz kämpfen sich Hunderttausende Elektrosensible unter teils starken Beschwerden durch den zunehmend verstrahlten Alltag. Auch ist ihr Schlaf oft derart gestört, dass es Nacht für Nacht an der notwendigen Regeneration fehlt.

 

Aufgrund von Studien wird offiziell ein Bevölkerungsanteil von 5-10% Elektrosensiblen genannt. Die Zahlen wurden vor rund einem Jahrzehnt mittels Befragungen erhoben. Schätzungen über die Dunkelziffer fehlen, doch dass diese überaus hoch ist, zeigen langjährige Beobachtungen aus der Mess- und Beratungspraxis. Denn mangels Informationen suchen viele die Ursachen ihrer Symptome überall, nur nicht bei der Strahlung. Andere ahnen zwar die Quelle ihres Leidens, aber weil die Konsequenzen für ihr Tun unbequem wären und ihre Weltsicht erschüttert zu werden droht, verdrängen sie die Ahnung. Die Annahme einer Verdoppelung auf mindestens 10-20% Elektrosensible leichten bis schwersten Grades scheint deshalb realistisch. Die restlichen 80-90% mögen sich als Nichtbetroffene empfinden – doch Elektrizität ist Teil der natürlichen Vorgänge in unserem Körper, und diese werden zunehmend gestört durch die technisch erzeugten elektromagnetischen Einwirkungen. Betroffen sind wir daher alle, nur ist unsere Widerstandskraft individuell sehr unterschiedlich.

 

Presse und TV über Menschen, die unter der Strahlung leiden

 

Medienberichte über elektrosensible Menschen weisen die Öffentlichkeit seit einigen Jahren darauf hin, dass es da ein Problem gibt. Leider wird kaum je erwähnt, dass die porträtierte Kategorie der Hochsensiblen nur die über dem Wasser sichtbare Spitze eines riesigen Eisbergs ist. Ja selbst dieses Bild ist noch zu zahm: Die öffentlich bekannten Elektrosensiblen repräsentieren bei weitem nicht den bekannten Eisberg-Zehntel, sondern bloß einen Hunderttausendstel oder  – je nach Land –  einen Millionstel der Menschen, die unter leichten bis schweren Strahlungssymptomen leiden.

 

In drei im März/April 2018 erschienenen Berichten mit Porträts elektrosensibler Menschen wird nun schlicht und sachlich berichtet, was die Betroffenen erleben. Positiv auch das Fehlen des üblichen, redaktionell eingefügten Kästchens mit der verharmlosenden Meinung eines industrie- und behördennahen Experten. (Links zu den PDF-Dateien der drei Berichte am Ende dieses Beitrags).

 

Strahlungsreduktion für alle – funkfreie Zonen für stark Betroffene

 

Die Berichte mögen manche irritieren. Doch wer durch seine Tätigkeit im Laufe vieler Jahre Hunderten, ja Tausenden elektrosensibler Menschen begegnet ist, weiß, dass die berichteten Zusammenhänge wahr sind. Das Ausmaß der nationalen Binnenmigration der Strahlenflüchtlinge, die auf der Suche nach einer gesundheitlich akzeptablen Wohnstätte jahrelang im Land umherziehen, übersteigt alle Vorstellungen. Einige leben zumindest zeitweise als Nomaden im zusätzlich abgeschirmten Wohnmobil. Die dringende Notwendigkeit besteht, über das ganze Land verteilte funkfreie Zonen einzurichten. Stark unter Strahlung Leidende sind auf solche Zonen existenziell angewiesen.

 

Zugleich braucht es eine allgemeine, massive Reduktion der Strahlungsintensitäten, denen wir im Alltag ausgesetzt sind. Diese ist vor allem auch volkswirtschaftlich begründet. Denn die Elektrosmog-Belastung ist auch eine wesentliche Ursache von sinkender Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, von häufigeren Krankheitsabsenzen sowie von steigenden Kosten im Gesundheits- und Sozialversicherungswesen. Aber noch fehlt es weitherum an dieser Einsicht. Warum wird in all den Presseartikeln über Schlafstörungen oder das Burn-out-Syndrom der oft mitverantwortliche Elektrosmog nie erwähnt? Ist es journalistisches Desinteresse oder Unkenntnis? Oder kann nicht sein, was nicht sein darf?

 

Die Hauptakteure: Industrie, Staat und Wissenschaftsbetrieb

 

Alle diese Tatsachen sind in der öffentlichen Meinung kaum präsent. Wie sollten sie auch? Die drei Hauptakteure Mobilfunkindustrie, Staat und Wissenschaftsbetrieb (siehe Bild) haben sich ihre eigene Welt geschaffen, in der sie unter gegenseitigen Einflüssen und Abhängigkeiten handeln. Symptomatisch für die dort herrschende Gesinnung war das Wahlplakat 2017 der deutschen FDP: „Digital first, Bedenken second“. Im Banne des von Geld- und Machtdenken, Technikfaszination und Konkurrenzangst getriebenen Digitalisierungswahns wird von jener Seite her alles unterdrückt, was die Durchsetzung der dazugehörigen technischen Entwicklungen stört. Diese werden als „unausweichlich“ hingestellt. Die Demokratie wird beschädigt, die öffentliche Meinung fehlgeleitet.


Wer die Realität des Lebens unter Strahlungsbelastung kennt – die Betroffenen selbst und die ihnen nahestehenden Aktivistengruppen – muss die Verbreitung des entsprechenden Wissens unter großen Schwierigkeiten zu erkämpfen versuchen. Doch dieser Kampf ist nicht vergeblich. Unter dem Tatsachendruck beginnt da und dort eine gewisse Bereitschaft, sich den Zusammenhängen zu öffnen.

 



Funktion und Bedeutung der drei Hauptakteure können folgendermaßen charakterisiert werden:

 

    • Die globalisierte IT- und Mobilfunk-Industrie ist der Hauptmotor. Sie ist es, die die Angebot-Nachfrage-Spirale fortwährend antreibt. Bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen versteckt sie sich hinter dem Schutzschild der internationalen, staatlich adoptierten Grenzwerte, die sie selber in den neunziger Jahren zusammen mit dem Militär so hoch festlegte, um für die Technikentwicklung freie Hand zu haben. In Ländern mit tieferen Vorsorgewerten wie der Schweiz arbeitet sie auf deren Lockerung hin. – Auf die universitäre Risikoforschung nimmt die Industrie seit jeher direkten oder indirekten, auch subtilen Einfluss. Und Forscher, die ihr unbequem sind, werden behindert und diskreditiert, missliebige Studienergebnisse ignoriert oder heruntergespielt.

 

    • Die staatliche Exekutive (Regierung) sieht als eine Hauptaufgabe die Stärkung von Forschung, Entwicklung und Industrie im eigenen Land. Dazu gehört im Rahmen der Digitalisierung die bedingungslose Förderung des Mobilfunks. Dass diese auf Kosten der Gesundheit geht, ignoriert sie. Technisch verlässt sie sich einseitig-unkritisch auf die Industrie, wissenschaftlich auf diejenigen Forscher, welche ihr das sagen, was sie hören will. Die Gerichtsbarkeit vertritt in dieser Sache durchwegs die Meinung der staatlichen Fachbehörden. Die Parlamentskammern stützen noch meistens die Regierungspolitik; das Problembewusstsein beginnt jedoch zu wachsen.

 

    • Der universitäre Wissenschaftsbetrieb ist bezüglich Mobilkommunikation und Elektrizität eng mit Industrie und Staat als Geldgeber verflochten. Die dazugehörige Risikoforschung unterliegt entsprechenden Vorgaben und Einschränkungen, gesteuert über Themenwahl, Entscheid über Studienanträge, Finanzierung und Studienbegleitung. – In den Leitmedien haben Industrie und Staat sowie die von ihnen bevorzugten Forscher die Deutungshoheit. Die wissenschaftliche Erkenntnislage wird verfälscht dargestellt; eine tiefgehende fachjournalistische Recherche fehlt. – Die Ergebnisse der unabhängigen Risikoforschung erfassen die Realität deutlich besser. Auf ihnen basiert die Einstufung von Mobil­funk als „möglicherweise karzinogen“ durch die WHO-IARC (2011). Doch seit diesem Ereignis unterliegen unabhängige Forscher weltweit verstärktem Druck.

 

Bevölkerung, Medizin und Aktivistengruppen

 

Nun bleibt uns noch die Charakterisierung der restlichen drei im obigen Bild dargestellten Gruppen:

 

In der Medizin ist die Lage bezüglich elektromagnetischer Strahlung widersprüchlich. Ausgerechnet die Krankenhäuser und viele Arztpraxen sind elektromagnetisch oft stark belastet. Viele Ärzte und vor allem auch die Psychiatrie wollen nichts wissen von Mobilfunk als (Mit-)Verursacher von Funktionsstörungen und Krankheiten. Sie vertreten die – bezüglich Elektrosmog klar widerlegbare – Nocebo-These (das Gegenstück zum Placebo). Ein Beispiel: Sieht man durchs Fenster eine Mobilfunkantenne und schläft deshalb schlecht, so angeblich nur deshalb, weil man sich deren Schädlichkeit einredet. – Im Gegensatz dazu anerkennen die Fachgruppen der Umweltärzte längst, dass physiologische Strahlungsauswirkungen existieren. Sie wissen, dass die erste, grundlegende Maßnahme die Beseitigung der elektromagnetischen Belastung der Patienten ist. Seit 2002 erscheinen weltweit Ärzte- und Wissenschaftlerappelle mit Warnungen vor den Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung. Seit kurzem verfügt die Medizin außerdem über die EUROPAEM-Richtlinien 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten.

 

Die Beziehung der Bevölkerung zur Problematik ist komplex – viel komplexer, als sie öffentlich gesehen wird. Dumme und verlogene Parolen wie „Jeder hat ein Handy, keiner will die Antennen“ werden ihr in keiner Weise gerecht. Die Bereitschaft zur Eigenverantwortung ist größer als man glaubt. Doch damit diese Wirkung zeigen kann, muss endlich wahrheitsgemäß aufgeklärt werden über die konkreten Strahlungsauswirkungen von Handys und Antennen, WLAN und vielem mehr. Verantwortlich handeln setzt zutreffende Informationen voraus! – Wer will es den heute so vielfältig herausgeforderten Menschen verübeln, dass sie erst dann mit der Suche nach realen Informationen beginnen, wenn in der Nachbarschaft eine neue Antenne droht? Oder wenn sie wegen einer rund um die Uhr strahlenden WLAN-Internetbox nicht mehr schlafen können? – Viele jedoch glauben den offiziellen Beteuerungen der angeblichen Harmlosigkeit der Strahlung nur allzu gerne, denn sie wollen ihre eigene, ausgiebige Nutzung der drahtlosen Kommunikation aller Art keinesfalls ein­schränken. „Wenn das schädlich wäre, dürfte es doch nicht verkauft werden“, lautet eine der Ausreden. So wollen sie auch nicht glauben, dass sie anderen mit ihrem WLAN, ihrem Smartphone usw. schaden.

 

Die Aktivistengruppen basieren für Aufklärungsarbeit, Unterstützung der Betroffenen, Messungen und Beratung auf einer mehr als zwei Jahrzehnte langen, umfassenden und detaillierten Praxis­erfahrung. Darauf basierend wurden verlässliche, zigtausendfach erhärtete Richtwerte für Strahlungen und Felder entwickelt. Diese Richtwerte liegen um Zehnerpotenzen tiefer als die gesetzlichen Grenzwerte. Doch diese gesamte Erfahrung wird vom offiziellen Wissenschaftsbetrieb und somit auch von der Politik totgeschwiegen – paradoxerweise, denn ohne den Anstoß durch negative Erfahrungen gäbe es ja gar keine Risikoforschung; andererseits verständlicherweise, denn nähme man die Praxiserfahrung ernst, müsste man in unserer zunehmend strom- und funkabhängigen Zivilisation äußerst einschneidende Konsequenzen ziehen. Daher wird alles getan, um entsprechende Informationen nicht aufkommen zu lassen: Das Pochen auf die Erfahrung wird als Panikmache verleumdet, besorgniserregende Ergebnisse unabhängiger Risikoforschung werden als belanglos abgetan, und die Elektrosensiblen reduziert man auf ein vermeintlich kleines Grüppchen, auf das man keine Rücksicht nehmen könne, weil die Entwicklung unumkehrbar und nicht zu stoppen sei.

 

Das Leben liefert den Beweis für die Gesundheitsschädlichkeit der Strahlung

 

 

We Are The Evidence – Wir sind der Beweis, heißt die Homepage einer elektrosensiblen Rechtsanwältin. Die von ihr veröffentlichten Erfahrungsberichte Betroffener bestätigen die Glaubwürdigkeit dieser Aussage.

 

„Ich bin der Beweis“, signalisiert jeder elektrosensible Mensch, mit Worten oder stillschweigend.
Dass dieser Praxisbeweis offiziell nicht anerkannt, ja völlig ignoriert wird, hat mehrere Gründe:

 

    • Ein allgemeiner Grund liegt darin, dass die zunehmende Verwissenschaftlichung unseres Lebens mit einer fatalen Geringschätzung individueller praktischer Erfahrung einhergeht. Die Einstellung greift um sich, es seien nur wissenschaftlich geprüfte und erhärtete Aussagen ernst zu nehmen. Der Wissenschaftsbetrieb erhält den Nimbus einer unantastbaren Autorität. Doch diese ist dringend zu hinterfragen. Denn Studienergebnisse spiegeln nicht selten z.B. eine ideologisch eingeschränkte Sichtweise der Auftraggeber und Forscher. Unvoreingenommenes Beobachten und klares Denken im Alltag kann die Lebensrealität oft umfassender und zutreffender erfassen.

 

    • Auf dem besonderen Gebiet des Mobilfunks ist die Situation komplex. Die Gesundheitsgefährdung ist für die meisten Menschen kaum greifbar. Ein großer Teil der Mobilfunk nutzenden Bevölkerung will von einer Gefahr nichts wissen; öffentlich ist das Thema denn auch stark emotionell besetzt. Der staatlich-industrielle Machtblock instrumentalisiert den offiziellen Wissenschaftsbetrieb, indem er sich die angebliche Unbedenklichkeit der Strahlung als „wissenschaftliche Mehrheitsmeinung“ bestätigen lässt. Die Medien füllt er kraft seiner Deutungshoheit mit der eigenen Sicht der Dinge.

 

Zeit gewinnen für ein allgemeines Aufwachen

 

Der Kampf unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Geisteshaltungen verschärft sich. Jetzt gilt es genau hinzuschauen: Wer orientiert sich an den Lebenstatsachen – wer vertritt bloß abstrakte Programme und Ideologien? Wer durchdenkt umfassend und praxisnah die Folgen weitreichender Beschlüsse für Individuum und Gesellschaft – und wer lässt sich von Partikularinteressen leiten, gehorcht vermeintlichen Sachzwängen und argumentiert pauschal mit bloß behaupteten Mehrheitsmeinungen?

 

Im Nationalrat ging es am 16. Juni 2016 um den Antrag für eine Lockerung des Vorsorge-Grenzwertes für Mobilfunkantennen. Da stellte sich ein Parlamentarier hin und bekannte, dass ein Familien­mitglied (seine Tochter1) unter der Strahlung stark leide. Er verlangte die Umsetzung des Verfassungsartikels über den Schutz vor Strahlung. – Der nächste Redner widersprach, die Priorität habe eine „100%ige Mobilfunkversorgung“ vor dem Gesundheitsschutz. Dafür gebe es einen „gesellschaftlichen Konsens“. – Die Abstimmung ergab eine knappe Mehrheit für die Grenzwertlockerung.

 

Der Ständerat stimmte am 8. Dezember 2016 und erneut am 5. März 2018 knapp gegen eine Grenzwertlockerung. Maßgebend war eher die persönliche Meinungsbildung, weniger eine Parteimeinung. Doch diesen Entscheid will die Regierung nun auf der Verordnungsebene umgehen. Auf Biegen und Brechen fördert sie den Mobilfunk-Weiterausbau als integralen Teil der Digitalisierung.

 

Gewiss, das Handy ist Zivilisationsbestandteil geworden. Doch ist die nicht nur strahlungsmäßig, sondern auch sozial und kulturell fatale Volldigitalisierung wirklich unausweichlich? Noch werden kompetent-kritische Bücher zum Thema in den Medien bespottet oder ignoriert. Aber die Warnungen werden lauter; Zeichen des Umdenkens gibt es bis in die Politik. Nun gilt es, die öffentliche Meinungsbildung mit wahrheitsgemäßen Informationen zu stärken – und zugleich Sand ins Getriebe zu streuen: Mobilgeräte sparsam nutzen, kein Video-Streaming; Verzicht auf Handy-Zahlungsverkehr, Widerstand gegen 5G-Antennen, kein Kauf von Haushalt-, Büro- und Unterhaltungsgeräten mit nicht abschaltbarem Funk, und vieles mehr. Wir müssen Zeit gewinnen für ein allgemeines Aufwachen.

Peter Schlegel

 

Links zu den PDF-Dateien der drei Berichte:

 

1Reimanns gegen Swisscom. NZZ am Sonntag vom 4. März 2018

 

Ich leide stark unter der 4G-Technologie. Züriost vom 14. März 2018

 

Krank durch Elektrosmog: Jetzt berichten Betroffene. Gesundheitstipp April 2018