Hilferufe aus der Stadt

SZ vom 27.03.2001

Hilferufe aus dem Antennenwald

Immer mehr Anwohner klagen über Gesundheitsschäden durch Handymasten

(von Thomas Grasberger)

Es war ein Traum, der in Erfüllung ging. 15 Jahre lang schon wohnte der Zeichner und Karikaturist Pepsch Gottscheber in einem mehrstöckigen Wohnhaus im Münchner Stadtteil Au. Eines Tages teilte ihm sein Vermieter mit, er könne die ausgebaute Dachgeschosswohnung, die direkt über der seinen liegt, anmieten. Natürlich sagte Gottscheber zu. Eine zweigeschossige Wohnung, 110 Quadratmeter, relativ vernünftiger Mietzins für Münchner Verhältnisse - wer würde da schon nein sagen. Schließlich ist der obere Teil ein lichtes Studio mit schönem Blick über die Dächer der angrenzenden Häuser.
Gottscheber zog mit seiner Frau Marta vor einem Jahr ein und saß gern an jenem Esstisch, der direkt an der breiten Fensterfront steht. Ein idealer Ort, um zu arbeiten oder die Zeitung zu lesen. Bis eines Tages die Handwerker kamen und aufs Dach des gegenüberliegenden Hauses stiegen. "Ich dachte, da werden die Kamine repariert. Aber wie sich bald herausstellte, waren es Antennenmasten für Mobilfunk. In einer Entfernung von knapp 20 Meter vor unserem Fenster."

Noch war Gottscheber nicht beunruhigt. Doch kurz vor Weihnachten habe er plötzlich Kopfschmerzen bekommen, sagt er. "Es war ein Druck, vom Hinterkopf her aufs Kleinhirn. Dabei bin ich ein Mensch, der nie in seinem Leben Kopfweh gehabt hat." Der Schmerz aber hört nicht mehr auf. Eines Tages sagt Gottscheber zu seinem Nachbarn Peter Wieland: "Du, ich glaub, der Sender ist schon angeschaltet." Kann eigentlich nicht sein, antwortet der Nachbar, der sich bei der Stadt und der Telekom erkundigt hat. Angeblich sollte die Antenne erst in einigen Wochen ans Netz gehen. Und die Mieter sollten vorher Bescheid bekommen, hieß es. Gottschebers Schmerz aber bleibt. Auf Nachfragen stellt sich dann im Februar 2001 heraus, dass die Antenne schon zwei Monate früher, am 12. Dezember 2000 in Betrieb gegangen ist. Für Gottscheber ein Beleg dafür, dass er sich sein Unbehagen nicht nur eingebildet hat. Zumal auch seine Frau seither über Beschwerden klagt.

Dem Nachbarn Peter Wieland (40) und seiner Frau Heike (43) geht es nicht besser. Plötzlich, so sagen die beiden, hätten sich bei ihnen schlimme Symptome eingestellt: Migräne, Depressionen, Atembeschwerden, sogar von Herzflattern berichten sie. All dies sei typisch für Menschen, die einer dauernden Bestrahlung mit niederfrequent gepulsten Hochfrequenz-Strahlen ausgesetzt sind - behaupten zumindest die Gegner der Handymasten, die sich in der Dachorganisation Bürgerwelle e.V. zusammengeschlossen haben.

Die Wielands haben ihr Schlafzimmer nur vier Meter unterhalb der Antenne, die leicht schräg nach unten strahlt, direkt auf Wohnung, Büro und Dachterrasse. Grund genug, einen Gutachter kommen zu lassen: Wulf-Dietrich Rose von der Internationalen Gesellschaft für Elektrosmog-Forschung im österreichischen Kitzbühel. "Ich habe etwa 800 solcher Fälle untersucht", sagt Rose. Seine Bewertung der Münchner Situation klingt höchst dramatisch: "Gesundheitliche Beschwerden, die bei einer Leistungsflussdichte zwischen 500 und 1000 Mikrowatt pro Quadratmeter auftreten, sind in München sehr häufig. Wenn die Antenne 20 bis 30 Meter weit weg ist, treten Schlafstörungen, erhöhter Blutdruck, Nervosität und Kopfschmerzen auf." Bei Werten über 1000 Mikrowatt und kurzer Entfernung sei sogar eine Häufung von Gehirntumoren festzustellen, behauptet der Mann, der sich in Österreich als "Elektrosmog- Experte" einen Namen gemacht hat.

Nun sind solche Einschätzungen mit großer Vorsicht zu behandeln. Seit Jahren streiten Wissenschaftler über die Gefährlichkeit der Strahlungen - und zu welchen Ergebnissen man dabei kommt, hängt wohl nicht zuletzt vom eigenen Standpunkt ab. Ob harmlos oder hochgefährlich: Für jede Einschätzung liefern Experten die entsprechenden Studien. Auch die Arbeit des Gutachters Wulf- Dietrich Rose ist heftig umstritten. Während Mobilfunk-Gegner seinen Expertisen naturgemäß Glauben schenken, unterstellt ihm das Bundesamt für Strahlenschutz "mangelnde Wissenschaftlichkeit".

Roses Gutachten, das er für Familie Wieland erstellt hat, fällt dramatisch aus. Im Schlafzimmer beträgt der Wert 890 Mikrowatt pro Quadratmeter, auf der Dachterrasse liegt er sogar stellenweise bei über 4000. Werte, die geeignet sind, wie es im Gutachten heißt, "zwangsläufig Störungen im biologischen System des Menschen und Gesundheitsschäden zu verursachen".

Die Mobilfunkbetreiber bezahlen Hausbesitzern sechs- bis fünfzehntausend Mark im Jahr, damit sie Sendeantennen auf die Dächer montieren lassen können, und sie handeln damit völlig legal.
Schließlich halten sie die Grenzwerte ein, die in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung von 1997 vorgegeben sind. Diese allerdings, so kritisieren einige Studien, berücksichtigen nur die thermischen Wirkungen, den kurzzeitigen Erwärmungseffekt durch die Strahlen. Nicht berücksichtigt seien die athermischen Effekte auf den Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen, auf seine Sinneszellen, das Nerven- und Immunsystem.

Was stimmt, was nicht? Viele Mobilfunkgegner haben den Verdacht, dass es die Politik gar nicht so genau wissen will. Oft ist von Finanzminister Eichels UMTS-Milliarden die Rede. 100 Milliarden - eine volkswirtschaftliche Größe, die sich kein Politiker entgehen lässt. Allerdings auch eine, bei der kein Politiker mehr ganz frei in seinen Entscheidungen sein dürfte. Und keine Partei will als rückschrittlich und technologiefeindlich gelten. Mit der neuen UMTS-Technologie sollen in den nächsten Jahren Tausende neuer Sendemasten installiert werden. Zu den bestehenden 6000 bundesweiten Standorten sollen weitere 9000 hinzukommen. Allein in München strahlen derzeit 550 Mobilnetz- Antennen und zahlreiche weitere sind gar nicht erst angemeldet. Es werden noch mehr. Künftig alle 200 Meter einer.

Viele Bürger sind beunruhigt. Allein in und um München schließen sich immer mehr Menschen den derzeit rund 70 Bürgerinitiativen an, die sich gegen die Sendemasten wehren. Hunderte von Betroffenen kommen zu Versammlungen und äußern ihre Ängste und ihren Unmut. Das Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München hat deshalb für den kommenden Donnerstag (17 bis 20 Uhr) im Wappensaal des Alten Rathauses ein öffentliches Hearing zum Thema Mobilfunk angesetzt. "Das Podium wird möglichst ausgewogen mit Mobilfunkgegnern sowie -befürwortern besetzt sein", heißt es in der Ankündigung der Stadt.

Für Pepsch Gottscheber ist das nur ein kleiner Trost. Sein Wohn-Traum ist zum Albtraum geworden. Freude macht ihm das Dachgeschoss-Apartment jedenfalls keine mehr. Dafür aber Kopfschmerzen. "Oben halten wir uns nur noch selten auf. Aber umziehen will ich nicht. Wohin denn auch? Es kann mir ja dann wieder passieren, dass sie mir eine Antenne vor die Nase stellen." Auch Gottschebers Nachbar Peter Wieland und seine Frau haben Konsequenz gezogen. Sie übernachten bei Verwandten und pendeln täglich 35 Kilometer. In ihrem Büro unterm Dach sind sie nur noch, wenn es der Beruf unbedingt erfordert.

Die Betreibergesellschaft der Mobilfunkantenne versuchte, sie zu beruhigen. In einem Schreiben von DeTeMobil vom 12. März 2001 heißt es: "Die Bewertung durch Fachleute sagt nachdrücklich aus, dass die schwachen elektromagnetischen Felder des Mobilfunks keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen haben." Und weiter: "Auch das Bundesamt für Strahlenschutz hat in einer aktuellen Stellungnahme deutlich gemacht, dass es fortlaufend alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse überprüft und dass bei Einhaltung der geltenden Grenzwerte negative Wirkungen auf die Gesundheit nicht zu befürchten sind."

Die Wielands schenken solchen Formulierungen keinen Glauben.
Schließlich gibt es andere Wissenschaftler, die genau das Gegenteil behaupten.

Was stimmt, was nicht? Peter Wieland hat sich entschieden. Er hat Klage gegen die Telekom eingereicht.
www.buergerwelle.de

BW: Was die Süddeutsche Zeitung hier schreibt, ist nur die Spitze eines Eisbergs: hier ein „normaler Fall“!

„Sehr geehrte Damen und Herren,

zu unserer Leidensgeschichte:
Wir wohnen in einer Entfernung von ca. 250 m von der Sendeeinrichtung am Wasserbehälter Langenbusch in Schöllbronn bei D-76275 Ettlingen. Die Anlage wurde  klammheimlich in kurzer Zeit Anfang Februar letzten Jahres in Rekordzeit aufgebaut. Ohne das uns zuerst die Zusammenhänge mit der Errichtung der Mobilfunk-Anlage bewusst war, begann für uns eine schreckliche Leidenszeit.

Man kann leider keinem Menschen richtig beschreiben, und wir möchten es auch niemanden wünschen, dass er durchlebt, was wir seither hier durchmachen. Schlafstörungen, Schwindelanfälle, Muskelkrämpfe, Herzrasen, nächtliches Schwitzen und Frieren, Zittern am ganzen Körper sind nur einige Beispiele, was meine Frau und ich seither erleben. Zusätzlich habe ich in der Zwischenzeit durch die Einwirkung der Mobilfunkanlage eine Fibromyalgie bekommen und meine Frau leidet seit kurzem wegen der Strahlung der Mobilfunk-Anlage unter epileptischen Anfällen. Wir sind beide schon seit längerer Zeit nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Manchmal wissen wir gar nicht, wie wir noch weiterleben sollen. Wir fühlen, dass wir in Lebensgefahr sind. Nach und nach erfuhren wir, dass noch andere Bürger hier vor Ort in ähnlicher Weise betroffen sind.

Alle Bemühungen die Betreiber zu einem Abbau der Anlage oder zu einer Einstellung der Sendetätigkeit zu bewegen, blieben ohne Erfolg. So blieb uns leider, trotz unseres schlechten Gesundheitszustands nichts anderes übrig, als gegen den Eigentümer des Grundstücks die Stadtwerke Ettlingen, auf dem die Sendeanlagen stehen (übrigens auf einem Wasserreservoir!), Klage zu erheben.“

Klaus u. Gabi Rudolph
Schwester-Baptista-Str. 27
D-76275 Ettlingen
www.buergerwelle.de