Erneute Vervielfachung der Mobilfunksender

Vorbemerkung der Bürgerwelle:
Ein eher naiver Artikel über die technischen "Neuerungen" im GSM-Netz mit einigen Widersprüchlichkeiten offenbart trotzdem interessantes:
Anstatt z.B. das technisch ungleich leistungsstärkere und biologisch weniger gefährliche CDMA-System zu nutzen, steigern die europäischen Betreiber weiter ihre Milliardengewinne mit der alten, abgeschriebenen GSM-Technik: als "Hit" dieser Steinzeittechnik wird ab sofort das parallele Nutzen gleich mehrerer Kanäle pro Handy eingeführt, um an halbwegs akzeptable Datentransferraten zu kommen. (Ein Abschnitt, in dem der Autor getrennt zu betrachtende funktechnische Möglichkeiten bei GSM und abrechnungstechnische Überlegungen beim Internet leider durcheinanderwirft, ist von uns zur Vermeidung unnötiger Verwirrung beim sachkundigen Leser eingeklammert).
Die Konsequenz: eine weitere Vervielfachung ( 4fach bzw. 8fach, vgl. Artikel) der notwendigen Sender.
Muß die alte Zieldefinition der Betreiber "an jedes Haus ein Sender" überarbeitet werden? Sind es nun gleich mehrere??

Handelsblatt Freitag/Samstag, 13./14.8. 1999:  Neue Techniken ermöglichen den Transport von mehr Daten
Das Mobilfunknetz wird leistungsfähiger
Von WOLFGANG GILLMANN

Der Mobilfunk boomt. Stark wachsende Teilnehmerzahlen bescheren den Anbietern volle Kassen aber auch Kapazitätsprobleme. Vor allem bei der Übertragung von Daten zeigt sich das Mobilfunknetz als zu eng. An der Erweiterung wird gearbeitet.

In Europa und großen Teilen der Welt hat sich der digitale Mobilfunkstandard GSM (Global System for Mobile Communication) durchgesetzt. In Deutschland nutzen die Gesellschaften Dl und D2 dieses System auf Übertragungsfrequenzen von 900 Megahertz, während E-plus und E2 eine Frequenz von l 800 Megahertz benutzen, was die Sprachqualität bereits wesentlich verbessert. Während der Sprachverkehr auch in absehbarer Zeit mit den vorhandenen Kapazitäten weitgehend auskommen wird, gibt es bei der Übertragung von Daten schon jetzt erhebliche Engpässe. Zudem sind viele der kommenden Multimediaanwendungen gar nicht möglich. Doch gerade hier wird das Geschäft der Zukunft gesehen. Schätzungen besagen, dass im Jahr 2005 Multimedia- und Internet-Anwendungen einen Anteil von 60 % am Mobilfunkverkehr haben werden.

Das GSM-Netz überträgt Daten mit einer Rate von maximal 9.600 Bits pro Sekunde. Damit können bereits heute Nachrichten übertragen, E-Mails versandt und Aktienkurse abgerufen werden, auch der Zugang zum Internet ist möglich - nur dauert die Übertragung sehr lange.

Eine wesentliche Erweiterung des Mobilfunknetzes wird erfolgen, wenn in diesem Jahr HSCSD-Systeme auf den Markt kommen. Diese "High Speed Circuit Switched Data" genannte Technik ermöglicht Übertragungsraten von bis zu 57.600 Bits pro Sekunde, allerdings nur bei optimalen Sendebedingungen und hohen freien Kapazitäten. Damit wird der schnelle Abruf von E-Mails und die Übertragung von Video-Konferenzen über das Handy möglich.

Die höhere Übertragungsrate wird dadurch erzielt, dass die vorhandenen Netzkapazitäten besser ausgenutzt werden. Die Verbindungen zwischen den Teilnehmern werden wie bisher fest geschaltet. Durch die Bündelung von maximal vier Leitungen kann die höhere Kapazität von 57.600 Bits pro Sekunde erreicht werden. Marketingexperte Joachim Ebinger von Nokia erwartet, dass HSCSD-Technik vor allem bei der Live-Übertragung von Videobildem oder Tondokumcnten eingesetzt werden wird, da es hier auf die unterbrechungsfreie Übertragung von großen Datenmengen ankomme. Nokia habe bereits an 14 Netzbetreiber diese neue Technik verkauft.

Im Unterschied zu HSCSD nutzt eine andere Erweiterung des GSM-Netzes das Internet. Bei dieser "General Packet Radio Service" (GPRS) genannten Technik werden die Daten in einzelne Datenpakete aufgeteilt, über das Internet getrennt übertragen und beim Empfänger wieder zusammengesetzt. So werden maximale Übertragungsraten von 11.5000 Bits je Sekunde möglich. Allerdings ist dies nur ein theoretischer Wert und hängt von der Netzkapazität ab.

(Ebinger hält Raten von 20.000 bis 40.000 Bits für realistisch. Das wichtigste Argument für diese neue Technik sei nicht die hohe Kapazität, sondern die Anbindung an das Internet. Zudem wird die Übertragung billiger, da die Verbindung immer nur für die Dauer der Übertragung eines Paketes geschaltet und abgerechnet wird. So kann der Kunde permanent online bleiben, zahlt aber nur für die tatsächlich übertragenen Daten. Über GPRS können auch Internet-Informationsdienste wie E-Commerce, Oneline-Banking oder Informationsdienste bereitgestellt werden.)

Die GPRS-Technologie wird in Deutschland zur Zeit bei den ersten Netzbetreibern installiert. So hat T-Mobil vor kurzem, wie es heißt als weltweit erster Netzbetreiber, GPRS in einem Netzknoten in Bonn installiert. Die Technik lieferte Ericsson. Nach den jetzt laufenden Tests soll der kommerzielle Betrieb im nächsten Jahr beginnen. Ericsson hat mit sechs weiteren Netzbetreibern Vereinbarungen zur Einführung von GPRS getroffen und reklamiert für diese neue Datenfunktechnik einen Marktanteil von 50%. Auch Siemens arbeitet an GPRS-Lösungen. Im zweiten Halbjahr 1999 sollen erste Komponenten ausgeliefert werden. Einer der ersten Kunden ist Mannesmann Mobilfunk. D2 will noch im September GPRS einführen, flächendeckend soll es Mitte 2000 verfügbar sein.

Die Hersteller von Telekommunikationstechnik arbeiten jedoch bereits daran, sowohl HSCSD als auch GPRS auf der Basis der bestehenden GSM-Technologie weiterzuentwickeln. "Enhanced Data Rates for GSM Evolution", kurz EDGE, heißt das Zauberwort. Durch ein neues Modulationsverfahren soll die Datenmenge, die auf einem GSM-Kanal übertragen werden kann, auf bis zu 48.000 Bits pro Sekunde erhöht werden. Durch die Bündelung von bis zu acht Kanälen werden Datenraten bis zu 384.000 Bits pro Sekunde möglich. Diese neue Technik soll im Jahr 2001 kommen, erfordert aber kräftige Investitionen.

Eine Alternative zur Aufrüstung des bestehenden GSM-Netzes mit der EDGE-Technik ist der neue Mobilfunkstandard UMTS (Universal Mobile Telephony System), der 2002 eingeführt werden soll. Durch eine neue Sendetechnik vom Handy zur nächsten Basisstation und erweiterte Frequenzen wird eine mobile Übertragung von bis zu 384.000 Bits pro Sekunde möglich, was alle Multimediadienste und vollen Internetzugang ermöglicht.

Allerdings müssen die Mobilfunkbetreiber hierfür neue Lizenzen erwerben und ein neues Netz aufbauen. Deshalb erwartet Nokia-Manager Ebinger, dass vor allem Netzbetreiber, die auch mittelfristig keine Kapazitätsengpässe erwarten, sich für den Ausbau des bestehenden GSM-Netzes entscheiden werden statt auf UMTS umzurüsten. "Wir werden auch künftig noch viele GSM-Anlagen verkaufen."