Wirtschaftswoche 15.8.2002

WIRTSCHAFTSWOCHE  15.8.2002  NR. 34

Zu Viel zum Sterben

Bei den UMTS-Anbietern versiegt der Glaube an eine erfolgreiche Zukunft. Stirbt die kühne Idee vom mobilen Multimedianetz vor ihrem Start?

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Fernab vom Kontinent funkt seit Anfang des Jahres auf der Isle of Man das erste kom­merzielle mobile Breitbandnetz Europas - mit 200 ausgewählten Testkunden, maßge­schneiderten Internettelefonen vom japani­schen Hersteller NEC und einem Funknetz von Siemens. Das neue UMTS-Funknetz (Universal Mobile Telecommunications Sys­tem) soll Musik, Spiele und digitale Fotos kinderleicht in Sekundenschnelle von Handy zu Handy senden und E-Mails an je­den Ort schicken.

Die Kassen werden klingeln, so die eu­phorischen Prognosen der Branche vor zwei Jahren. Allein in Deutschland blätterten sechs Konzerne in Champagnerlaune für die Lizenzen zum Funken 50 Milliarden Euro auf den Tisch, zusätzlich planten sie jeweils

zweistellige Milliardenbeträge für den Netz­aufbau ein.

Doch ob die technische Revolution das Inseltestlabor jemals verlassen wird, ist un­wahrscheinlicher denn je. Die Branche kämpft ums Überleben: die Deutsche Tele­kom, KPN, Telefonica, mmO2 und France Telecom legen Sanierungspläne auf, drü­cken mit dem Verkauf von Unternehmens­teilen ihren Milliardenschuldenstand und überprüfen jetzt ihre UMTS-Investitionen.

Steht der geordnete Rückzug vom Milli­ardenspektakel UMTS kurz bevor? Ende Juli stoppten Telefonica und Sonera ihre UMTS-Pläne mit Quam in Deutschland, Öster­reich, Italien und der Schweiz „bis zur Marktreife von UMTS", so Telefonica-Chef Cesar Alierta. Die in Deutschland für 8,5 Milliarden Euro ersteigerte Lizenz droht als nutzloses Stück Papier in der Schublade zu verrotten. Einen Handel mit Frequenzen lässt die deutsche Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post nicht zu. T-Mobile, O2 und E-Plus haben bereits im Frühjahr kalte Füße bekommen und ver­schoben ihren UMTS-Startschuss auf Mitte 2003. Bei Mobilcom ist nach dem Streit mit Anteilseigner France Telecom offen, ob UMTS überhaupt startet.

Sogar Vodafone rudert inzwischen zu­rück. Der weltweit größte Mobilfunk­konzern wird in Deutschland ebenfalls nicht vor Mitte nächsten Jahres starten. Vodafone-Deutschland-Chef Jürgen von Kuczkowski schiebt den Handyherstellern die Schuld in die Schuhe. „Wir sind mit ei­nigen technischen Leistungsmerkmalen noch nicht zufrieden." Hauptproblem: Te­lefonieren und Datenübertragen vom UMTS-Netz zum GSM-Netz funktionieren nicht einwandfrei.

Ein Sterben auf Raten vor dem endgülti­gen Aus von UMTS? „Die Verzögerung ist ein zweischneidiges Schwert", sagt Justin Funnell von Credit Suisse First Boston. Ei­nerseits schiebt ein später Start die erhofften Umsätze mit UMTS in weite Ferne. Das be­droht vor allem die Geschäftspläne der klei­neren Anbieter wie O2 in Deutschland mit einem Marktanteil von gerade mal 7,3 Pro­zent (siehe Grafik).

Jeder gesparte Euro schont andererseits die tief in den roten Zahlen steckenden Bi­lanzen. „Momentan ist jede Verschiebung positiv, alles schaut auf die Finanzkraft, alle sind kritisch, ob das mobile Internet jemals fliegen wird", so Analyst Funnell. Die Börse belohnte den UMTS-Ausstieg von Telefonica und Sonera mit Kurszuwächsen im zwei­stelligen Bereich.

Droht jetzt auch noch die amerikani­sche Konkurrenztechnologie zu UMTS, die Europäer zu überholen? Während sich Eu­ropa auf den gemeinsamen Funkstandard UMTS einigte, setzen in den USA einige Anbieter, wie beispielsweise Sprint, auf ein anderes System. Der amerikanische CDMA-2000-Standard nutzt die bestehen­den Mobilfunknetze und rüstet sie fürs mo­bile Internet auf. Das ist günstiger und ein­facher als mit UMTS. Neue Lizenzen sind nicht notwendig. Die erste Ausbaustufe ist vergleichbar mit der Aufrüstung der euro­päischen GSM-Netze mit GPRS, die eine schnellere Datenübertragung ermöglicht. Daher ist CDMA 2000 in den USA zwar ein Konkurrenzprodukt zum europäischen mo­bilen Breitbandnetz UMTS. Zur Vermark­tung von CDMA 2000 wird es in Europa aber nicht kommen, da die Netze hier auf einer anderen Technologie beruhen.

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Was nach wie vor fehlt sind überzeugen­de Dienste, die mit hoher Frequenz genutzt werden. Die Branche hofft vor allem auf den Erfolg von mobilen Spielen und Erotik: die einzigen Angebote, die auch im Internet schon Profit abwerfen. Die erogenen Zonen in den Handyportalen Jamba oder Genie sind bereits heute Renner - und das trotz schlechter Bildauflösung. Handys mit klei­nen Digitalkameras, mit denen auch selbst gemachte Bilder per Funk verschickt werden können, sollen zu Weihnachten den Umsatz ankurbeln. Mit UMTS kommen die Bild­chen und Fotos dann mit bis zu 30facher ISDN-Geschwindigkeit gestochen scharf aufs Display.

Auch der neue mobile Internetdienst i-mode von E-Plus kommt nicht richtig in Schwung, i-mode liefert E-Plus-Kunden be­reits heute ohne schnelles UMTS-Netz Spiele, Nachrichten, Wetterdienst und E-Mails aufs NEC-i-mode-Handy. Seit dem Start im März bis Juni dieses Jahres gewann E-Plus gerade mal 38000 i-Mode-Kunden, mehr als die Hälfte der Nutzer waren be­reits E-Plus-Kunden. Der Plan, „in den nächsten zwölf Monaten einige hunderttau­send i-mode-Verträge abzuschließen" ist für E-Plus-Chef Bergheim nicht zu schaf­fen. Die i-mode-Nutzer steigern derzeit den monatlichen Umsatz zudem gerade mal um sechs bis acht Euro pro Monat - zu wenig zum Überleben, zu viel zum Sterben.

ANGELA HENNERSDORF NR. 34 l 15.8.2002 | WIRTSCHAFTSWOCHE
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