Bürger machen mobil

Süddeutsche Zeitung 09.06.2000:
Bürger machen gegen Mobilfunk mobil

Noch hält sich der Widerstand gegen die gepulste Mobilfunktechnik in Grenzen. Das liegt am Informationsdefizit. Die meisten wissen nicht einmal wie Mobilfunkantennen überhaupt aussehen /Foto Heddergott/SZ-Bildarchiv

Betroffene Bewohner klagen zunehmend über Gesundheitsbeschwerden und fordern eine Senkung der Grenzwerte       Von Christa Eder

Gabriele Steinlechner bewohnt ein freistehendes Öko-Haus mit großem Garten in Dachau. Zum Übernachten geht sie mit ihrer Familie allerdings in eine andere Wohnung. Sie halte es im Haus nicht mehr aus, sagt sie. Alles scheine irgendwie elektrisch aufgeladen zu sein. Wenn sie etwas anfasste, bekam sie elektrische Schläge und wie bei einer Übersteuerung pfeife, schwirre, surre es unentwegt. Auch die Schwindelanfälle und die Stiche im Ohr kamen ihr merkwürdig vor. Als auch der zwölfjährige Sohn über die selben Symptome klagte, suchte Frau Steinlechner einen Arzt auf. Der konnte keine Krankheit feststellen.

"Wir hatten Angst. Vor allem um das Kind. Wir wussten, dass wir uns das nicht einbildeten. Zumal auch unsere Nachbarn und Gäste die überdrehten Frequenzen gehört hatten und auch unter Schlafstörungen litten", sagt Steinlechner. Es habe eine Zeit gedauert, bis sie den Zusammenhang zwischen den drei mächtigen Funkmasten auf dem gegenüberliegenden Dachauer Krankenhaus und ihren Zuständen herstellen konnte. Erst nachdem sie die Strahlung habe messen lassen, meinte sie den Grund zu kennen. "Das Problem ist", sagt Steinlechner, "dass die Masten ständig nachgerüstet werden, um das ganze Gebiet abdecken zu können und somit auch die Strahlung intensiviert wird".

Gespräche mit der Krankenhausleitung, dem Umweltministerium und dem Landrat verliefen ergebnislos. Mobilfunk sei nicht gesundheitsgefährdend, alles sei wissenschaftlich abgesichert, und von politischer Seite habe man dafür zu sorgen, dass jeder Handybesitzer telefonieren könne, hieß es lapidar.

Elektromagnetische Strahlen

Die Zahl der Skeptiker, die nicht mehr in der Nähe von Mobilfunkantennen wohnen mag, wächst offenbar. Und es gibt Maklerfirmen, die den Vertrieb von Wohnungen und Häusern mit Funkantennen auf dem Dach oder in Nachbarschaft ablehnen. "Wenn wir unser Haus heute verkaufen oder vermieten wollten, können wir gleich um 25 Prozent heruntergehen", befürchtet Steinlechner. Doch dass man seine Wohnung verlässt, weil sie durch elektromagnetische Strahlung anderer unbewohnbar geworden ist, kann keine Lösung sein. Der Widerstand einer Reihe von Dachauer Bürgern lässt Gabriele Steinlechner hoffen: "Wir werden eine Bürgerinitiative gründen".

Der Druck von Bürgerinitiativen auf Kommunen und Betreiber ist in jedem Fall wirksamer, als der Kampf Einzelner. Besonders zu Zeiten, in denen es auf die Stimmen der Bürger ankommt. Martina Steuerer aus dem schwäbischen Oberkirch bei Haslach, hat heute ihre Zweifel, ob der geplante Antennenmast nicht doch auf den Sportplatz - 150 Meter vom Wohngebiet und genau gegenüber des Kindergartens - gekommen wäre, wenn keine Kommunalwahl angestanden hätte. Denn der Vertrag war bereits unterschrieben. "Das war sicher einer der Anker, der uns gerettet hat", glaubt die Antennengegnerin. "Und wir mussten lernen, anderen auf die Nerven zu gehen, ohne uns dabei zu genieren". Infoabende, Presseveranstaltungen für die Lokalmedien, eine Unterschriftenaktion und ständige Präsenz im Büro des Bürgermeisters führten schließlich zum Erfolg. "Wir vom Sprecherteam der Bürgerinitiative haben uns bis zu drei und vier Mal pro Tag getroffen und beratschlagt. Schließlich hatten wir 300 Leute unseres Dorfes auf unserer Seite und der Bürgermeister gab zum Wohle der Bürger nach." Der Betreiber erhielt ein anderes Grundstück am Dorfrand.

Die Luft wird dünner für Mobilfunkbetreiber. Der Widerstand gegen die Mobilfunkantennen wird offenbar immer größer. Die Leute haben Angst. Um ihre Gesundheit und um den Wertverlust ihrer Wohnungen. Noch vor wenigen Jahren war es ein Leichtes, für ein paar hundert Mark Miete pro Monat bereitwillige Hausbesitzer zu finden, die ihr Dach zu Verfügung stellten. Auch für Landwirt Grammling senior, im baden-württembergischen Weigental, schien die dreizackige Antenne für das D2-Netz von Mannesmann ein nettes Taschengeld nebenher. An dem 20-Jahres-Vertrag mit einer Reihe von Auflagen, schien er sich nicht zu stören. Inzwischen hat Bauer Grammling den Hof mit Antenne seinem Sohn Josef überschrieben.

Der würde heute ein Vielfaches dafür bezahlen, wenn der Mast wieder von seinem Dach herunterkäme. Doch Mannesmann hat Grammling harte Bedingungen diktiert, aus denen er nicht so leicht herauskommt. Josef Grammling bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit Händen und Füßen zu wehren. Er und seine Familie sind seit fünf Jahren krank. Fast täglich kämpfen sie mit Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Schwindelgefühle. 1995 musste Grammling wegen eines Gleichgewichtssturzes ins Krankenhaus ein Jahr später sein damals dreijähriger Sohn wegen Durchblutungsstörungen, seit zwei Jahren klagt auch seine Frau über Gleichgewichtsstörungen.

Probleme auch bei den Tieren

Auch im Stall gab es Probleme Verferkelungen nach wenigen Wochen, Totgeburten Verhaltensauffälligkeiten. "Wir haben sogar schon daran gedacht zu verkaufen*, sagt Grammling, "aber wenn dann muss ich den Hof mit der Antenne verkaufen. Und Grundstücke und Immobilien mit Mobilfunkantennen gelten inzwischen als minderwertig." Grammling versucht, mehrgleisig zu fahren, um die Antenne wieder loszuwerden. Derzeit, sagt er, stehe er mit Mannesmann in Verhandlungen und hoffe auf eine gütliche Einigung. Wenn nicht, bleibe ihm nur noch der Gang zum Kadi. Und da dürften seine Chancen nicht schlecht stehen, denn 20 Jahres-Verträge sind sittenwidrig. Die Frage, ob Verträge, in denen der Mieter dem Vermieter die Bedingungen diktiert, rechtlich einwandfrei sind, darf gestellt werden.

"Freilich, eine Sicherheit vor den gepulsten Funkwellen ist damit auch noch nicht gegeben", sagt Grammling frustriert "denn schon morgen können sich unsere Nachbarn eine draufsetzen lassen. Sogar 150 Meter vor der Schule haben sie jetzt einen Masten hingestellt." Die Zahl der Betroffenen ließe sich noch endlos fortsetzen. Schlaflosigkeit, Schwindelanfälle, Seh- und Hörstörungen und Kopfschmerzen, sowie Fehl-, Miss- oder Totgeburten in den Ställen, Verhaltensauffälligkeiten bei Haustieren. Doch weder kranke Menschen, noch die Handy-Verbote in Flugzeugen, Schulen, Krankenhäusern, noch die Wertminderung von Immobilien noch die Verweigerung von Versicherungsunternehmen, Risiken durch elektromagnetische Strahlung zu übernehmen, geben den Betreibern zu denken. Nicht einmal Antennen-Verbote durch Gemeinden, Rathäuser und Landratsämter lassen bei den Betreibern einen Funken Einsichtsvermögen aufkeimen. Sie kanzeln die Betroffenen als Spinner ab. Es handle sich um Panikmache einiger weniger Hysteriker, die nur Stimmung gegen die Industrie machen würden. Sie zweifeln jedes kritische Gutachten an, kontern mit industriefreundlichen Studien, ignorieren Gerichtsentscheide und verschanzen sich hinter den gesetzlichen Grenzwerten, die weltweit in Deutschland Spitze sind. Derzeit liegt der Grenzwert für D-Netz-Betreiber bei 470 000 nW/cm² (=Nanowatt pro Quadratzentimeter) für E-Netz Betreiber bei 950 000 nW/cm² (siehe Kasten).

Die Bürgerwelle e V , der bundesweite Dachverband der Bürger und Initiativen zum Schutz vor Elektrosmog, fordert gemeinsam mit einer Reihe von Umweltinstitutionen, Wissenschaftlern und Selbsthilfevereinen eine Senkung der Grenzwerte auf 0,l nW/cm² im so genannten Wachbereich 0,001 nW/cm² im Schlafbereich. Zudem fordert sie die Produkthaftung mit Beweislastumkehr für die Betreiber, Selbstbestimmung von Bürgern und Gemeinden in Bezug auf die Errichtung von Sendeanlagen, eine Ergänzung der Bundesimmissionsschutzverordnung sowie eine unabhängige Forschung. "Wir wollen, dass die Leute aufwachen", sagt Siegfried Zwerenz, Vorsitzender der Bürgerwelle, die in den letzten zwei Jahren 400 Initiativen gegen Funksmog unterstützt hat.
 



So funktioniert Mobilfunk

Mobilfunkwellen sind elektromagnetische Wellen, die von einem Sender (Antenne) abgestrahlt werden, sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und auf der Empfangsseite von einer weiteren Antenne aufgefangen werden. Die dabei entstehenden Schwingungen zwischen den Antennen werden in Hertz gemessen:

Ein Hertz (Hz) entspricht einer Schwingung pro Sekunde. Im Betrieb entstehen Werte von 900 Megahertz (900 Millionen Hertz) bis zu 1,8 Gigahertz (1,8 Milliarden Hertz). Ein Funknetz besteht aus vielen einzelnen Funkstationen (Antennen, Sendetürme), die ihrerseits per Kabel, Richtfunk oder Glasfaser untereinander und mit der zentralen Vermittlungsstelle verbunden sind. Um Informationen per Handy empfangen und senden zu können, werden hochfrequente elektromagnetische Wellen als Transporteur verwendet.

Bei einem Anruf wird die Gesprächsinformation im Handy komprimiert und in einem Zeitschlitz von 0,57 Millisekunden an die Basisstation übermittelt. (Die schnurlosen DECT-Telefone funktionieren nach demselben Prinzip.)

Danach erfolgt eine Pause von sieben Zeitschlitzen bis zum nächsten Informationspaket.

Diese Form der Übermittlung ergibt ein gepulstes Signal, das pro Sekunde 217 mal ein- und ausgeschaltet wird. Bei Sendestationen ist die Pulsung zwischen 217- und 1736mal pro Sekunde. Das Problem beim Mobilfunk sind diese gepulsten Hochfrequenzen. Sie durchdringen selbst sehr dicke Betonwände und können kaum abgeschirmt werden. Kritiker befürchten, dass durch die dabei entstehende elektromagnetische Strahlung die sogenannte Gehirn-Blut-Schranke, eine Zellschutzschicht des Gehirnes, geschädigt werden könnte und so das Eindringen von Giftstoffen ins Gehirn ermöglicht wird. Die Folge davon wäre eine Schädigung oder unter Umstanden sogar eine Zerstörung der Nervenzellen.

Weitere Informationen: Bürgerwelle e V , Dachverband der Bürger und Initiativen zum Schutz vor Elektrosmog.

Kontakt: Siegfried Zwerenz, Lindenweg 10, 95643 Tirschenreuth, Telefon 09631/795736, www.buergerwelle.de, E-mail: pr@buergerwelle de                ed