Strahlender
Mobilfunk
Die Beweise für Gesundheitsschäden
durch Mobilfunkstrahlen sind erdrückend. Der Widerstand wächst. Wann handelt
die Politik?
Von Antje Bultmann
Es ist so weit: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will
die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf die Gesundheit der Menschen
umfassend untersuchen. Bisher hatte sich die WHO in dieser Frage stets sehr
bedeckt gehalten, weil sie den Beschwerden über die gesundheitsschädigenden
Folgen von Mobilfunkstrahlen misstraute – und weil auch die
Weltgesundheitsorganisation unter dem Druck wirtschaftlicher Interessen
arbeitet. Doch inzwischen wächst die Zahl der Untersuchungen über die schädlichen
Wirkungen von Mobilfunkstrahlen fast monatlich – und die Ergebnisse sind
alarmierend.
Die ersten bedrohlichen Untersuchungsergebnisse stammen
ausgerechnet aus einer Versuchsreihe, die ein renommierter Wissenschaftler der
WHO mit ganz anderer Zielrichtung durchführte: Der australische Strahlenbiologe
Michael Repacholi und sein Team gingen 1997 eigentlich davon aus, dass die
Mobilfunkstrahlung den Gesundheitszustand von Mäusen nicht beeinträchtigt. Doch
dann zeigte seine Versuchsreihe, dass Mobilfunkstrahlen die Rate an
Lymphdrüsenkrebs bei Mäusen enorm erhöhte. Entsprechend groß war auch das
Aufsehen der Studie. So groß, dass die australische Mobilfunkgesellschaft
Telstra mit einer Million australischer Dollar eine Alternativstudie
finanzierte, die allerdings kein anderes Ergebnis brachte. Daraufhin ließ die
Gesellschaft verlauten: Die Ergebnisse für Mäuse seien nicht auf Menschen
übertragbar.
Das allerdings widerlegen inzwischen andere
Wissenschaftler. Zum Beispiel der US-Amerikaner George Carlo. Er kam in einer
rund 25 Millionen Dollar teuren Studie zu dem – dramatischen – Ergebnis, dass
Handybenutzer eher an einem Gehirntumor sterben als Leute, die auf das Handy
verzichten. Carlos Fazit wird unter anderem durch das Ergebnis einer Studie des
schwedischen Arztes und Professors Lennart Hardell von der Universität Örebro
unterstützt: Dieser untersuchte 233 handytelefonierende Hirntumorpatienten und
fand heraus, dass die Versuchspersonen vorwiegend an der Seite des Kopfes einen
Tumor hatten, an der sie telefonierten. »Handystrahlen dringen bei Erwachsenen
neun Zentimeter tief in das Gehirn ein, bei Kindern noch tiefer«, erklärte
Hardell in der ARD-Sendung Report im Jahre 2001.
Diesen Verdacht bestätigt eine Untersuchung am anderen Ende
der Erde: im australischen Bundesstaat Western Australia. Dort stieg die Rate
der Gehirntumoren bei Männern um 50 Prozent, bei Frauen um 65 Prozent. Die
Ursache dafür sieht Andrew Davidson, Krebsspezialist am Krankenhaus in
Freemantle, im Mobilfunk.
Andere Studien ermittelten weitere Gesundheitsgefahren
durch Mobilfunkstrahlen: Gene können mutieren. Die roten Blutkörperchen
klumpen, der Schlaf kann gestört werden. Herzrhythmusstörungen können
entstehen, wenn das Handy in der Brusttasche steckt. Kinder sind besonders
gefährdet wegen ihrer dünneren Schädeldecke und größeren Gewebeleitfähigkeit –
das fand ein britisches Forscherteam in einer zehnmonatigen Untersuchung unter
Leitung des renommierten Wissenschaftlers Sir William Stewart heraus. Von
diesen Erkenntnissen durchaus überrascht, teilte er dem britischen
Fernsehsender BBC am 11. Mai 2000 mit, dass er seinen beiden Enkeln die Nutzung
von Handys auf jeden Fall untersagen würde.
Die ernsten Befürchtungen großer Teile der Bevölkerung hat
Alexandra Obermeier, eine Psychiaterin aus München, in einem offenen Brief an
Bundesumweltminister Jürgen Trittin formuliert: Wie kann man »auf Seiten der
Politik das fundamentalste Kapital eines Staates, nämlich die körperliche und
geistige Gesundheit der Menschen, in diesem Ausmaß aufs Spiel setzen? Mit dem
politischen Kurs bezüglich des Mobilfunks wird Profitgier legalisiert zu Lasten
des Allgemeinwohls von Millionen von Menschen unter Aufgabe der
Rechtsstaatlichkeit.«
Dies ist starker Tobak. Skeptiker halten die Angst vor
Mobilfunkstrahlen denn auch für reinen Alarmismus. Thomas Eickmann, Mitglied
der Bundesärztekammer, verweist auf die große Diskrepanz zwischen den oft
dramatischen Aussagen elektrosensibler Menschen – und den häufig
differenzierten Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen. Diesem Einwand
halten die Kritiker entgegen, dass Mobilfunkstrahlen nicht auf alle Menschen
schädlich wirkten – die Auswirkungen seien unterschiedlich. Gerade die
Tatsache, dass Wissenschaftler Gesundheitsschäden nachgewiesen hätten, die
vorher gar nicht an Schäden durch Mobilfunk geglaubt hätten, beweise doch, dass
an der Kritik etwas dran sein müsse.
Die zuständigen Institutionen wie die
Strahlenschutzkommission, die Internationale Strahlenschutzkommission für nicht
ionisierende Strahlung oder Interessenverbände wie der Verband der
Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik nehmen die kritischen Studien
über die gesundheitsschädlichen Folgen von Mobilfunk erst gar nicht ernst. Sie
entsprächen nicht den wissenschaftlichen Kriterien, behaupten sie. Mit dieser
Begründung rechtfertigt die Strahlenschutzkommission die hohen Grenzwerte für
elektromagnetische Strahlung. Zum Leidwesen wissenschaftlicher Kritiker: Die
Strahlenschutzkommission definiere allein, was wissenschaftlich gesichert sei,
kritisiert zum Beispiel Neill Cherry, Biophysiker an der Lincoln University in
Neuseeland. Dabei ignorierten die Mitglieder der Kommission vorhandene
wissenschaftliche Studien, stellten sie völlig falsch dar oder interpretierten
die Ergebnisse falsch.
Hinter der Furcht vor Berichten über die gesundheitlichen
Folgen von Mobilfunk verbirgt sich die Angst, das Geschäft mit Sendeanlagen,
schnurlosen Telefonen und Handys könnte ins Wanken geraten. Diese Angst eint
die staatlichen Institutionen und die beteiligten Unternehmen – insbesondere
jetzt, da alle auf das große Geschäft mit der neuen UMTS-Technologie hoffen,
und die Bundesregierung gerade Lizenzen für dreistellige Milliardenbeträge
vergeben hat. Pikanterweise wollen sich auch die Kirchen etwas von diesem Kuchen
abschneiden. Speziell in der evangelischen Kirche gibt es vielfach keinerlei
Bedenken, Kirchendächer als Sendestationen für den Mobilfunk zur Verfügung zu
stellen – gegen gutes Geld natürlich. Nur in einigen katholischen Bistümern
haben die Verantwortlichen dies untersagt.
Die Angst vor der Mobilfunktechnik provoziert mancherorts
bereits gewalttätigen Widerstand: In den Medien wird immer wieder von Schüssen
auf Mobilfunksender berichtet, so beispielsweise aus Mittelbuchen bei Hanau. In
Lohra bei Gießen wurden die Schrauben eines Mobilfunkmasts gelockert und der
Sender umgeworfen. In Hittistetten südlich von Neu-Ulm legten Gegner einen
Mobilfunkmast durch ein Feuer lahm.
Die Bürgerinitiativen gegen Mobilfunk – wie zum Beispiel
die Bürgerwelle – distanzieren sich von Gewalt in jeder Form: »Das kann nicht
der Weg sein«, sagt Siegfried Zwerenz von der Bürgerwelle. Aber er erinnert
sich auch an den leidgeprüften Bericht eines Vaters. Zwerenz: »Er ist
verzweifelt darüber, dass sein vierjähriger Sohn von einem Tag zum anderen
nachts vor Kopfschmerzen nicht mehr schlafen kann, völlig durcheinander ist und
nur noch weinend im Bett sitzt, nachdem exakt zum selben Zeitpunkt in
unmittelbarer Nähe ein Sender ans Netz gegangen ist. Wer weiß, was in dieser
Verzweiflung für Gedanken aufkommen?«
Nicht zuletzt deshalb wächst inzwischen der politische
Widerstand gegen die ungehemmte Ausbreitung der Mobilfunktechnologie – bei
gleichzeitig hohen Grenzwerten. Im Oktober 2002 verfassten – initiiert von der
Interdisziplinären Gesellschaft für Umweltmedizin e. V. (IGUMED) – 22 Ärzte und
Unterstützer den so genannten Freiburger Appell. Darin fordern sie
gesundheitsverträgliche Kommunikationstechniken. Die Risiken müssten unabhängig
von kommerziellen Interessen abgewogen werden. Sie verlangen weiter eine
massive Reduzierung der Grenzwerte, Sendeleistungen und Funkbelastungen sowie
einen Stopp des weiteren Ausbaus der Mobilfunktechnologie. Die Technik der
schnurlosen Telefone solle überarbeitet, an den Standortplanungen der Antennen
müsse die Bevölkerung beteiligt werden. Außerdem treten die Ärztinnen und Ärzte
für mobilfunkfreie Zonen und für ein Handy-Verbot für Kinder ein. Der
Freiburger Appell wurde inzwischen von rund 450 Medizinern und 30 000 Bürgern
unterschrieben. Täglich werden es mehr.
Vor diesem Hintergrund kommt der Beschluss der WHO, die
Folgen der Mobilfunkstrahlen für die Gesundheit der Menschen umfassend
untersuchen zu lassen, spät, aber vielleicht nicht zu spät – vorausgesetzt, die
Studie wird von unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführt. Dafür spricht, dass
die Direktorin der WHO und ehemalige norwegische Premierministerin Gro Harlem
Brundtland inzwischen ihre persönliche Betroffenheit entdeckt hat. Gegenüber
der Tageszeitung Dagbladet gestand sie, dass sie selbst unter
Elektrosensibilität leide.
Die Journalistin Antje Bultmann schreckt die Fachwelt seit
Jahren mit Aufsehen erregenden Recherchen über das Verhältnis von Wissenschaft,
Wirtschaft und Politik auf. Bundesweit bekannt wurde sie mit dem Buch »Käufliche
Wissenschaft«, das 1994 im Knaur-Verlag erschien.
Quelle: http://www.publik-forum.de/ ; Nachricht von Elektrosmognews