Medizin Doch
Hirntumoren durch
Mobiltelefone?
STOCKHOLM. Bisher ist
die Mehrzahl der Studien zu dem Ergebnis gekommen,
dass die elektromagnetischen Felder, die von
Handys emittiert werden, keine Hirntumoren
auslösen können. Die Ängste sind jedoch weit
verbreitet, weshalb eine kleine
Fall-Kontroll-Studie von schwedischen
Umweltmedizinern, die in der Novemberausgabe von
Epidemiology (2004;15: 653-659) erscheint, für
Gesprächsstoff sorgen dürfte.
Die Gruppe um
Prof. Anders Ahlbom vom Institutet för
Miljömedicin (IMM) des Karolinska Instituts in
Stockholm kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen,
die seit mehr als zehn Jahren mobiltelefonieren
ein etwa zweifaches Risiko auf ein
Akustikusneurinom haben. Wenn nur die Seite
betrachtet wird, auf der das Handy bevorzugt
benutzt wird, war das Risiko sogar fast viermal so
hoch wie bei Nicht-Mobiltelefonierern.
Das
Akustikusneurinom ist ein benigner Tumor des
achten Hirnnerven (Nervus vestibularis). Er geht
von den Schwannschen Zellen (der Markscheide des
Nervens) aus und ist häufig im inneren Gehörgang
lokalisiert, also nicht weit von der Ohrmuschel
entfernt, an die Mobiltelefonierer ihr Gerät
halten. Das Gerät sendet und empfängt
elektromagnetische Wellen. Die Strahlung ist zwar
nicht in der Lage, das Gewebe zu erwärmen, doch
die Überzeugung, dass diese neue Technologie
negative Folgen haben könnte, beschäftigt eine
Reihe von Wissenschaftlern.
Klären lässt
sich die Frage nicht durch diffizile Messungen der
Strahlenexposition und ihre möglichen Auswirkungen
auf Zellkulturen, sondern nur in einer empirischen
Analyse. Das einfachste Instrument ist eine
Fall-Kontroll-Studie. Hier konnten bisher keine
Hinweise gefunden werden. Erst kürzlich wurde im
American Journal of Epidemiology (2004; 159:
277-283) eine derartige Studie mit negativem
Ausgang publiziert. Forscher des Dänischen
Krebsforschungszentrums hatten 106 Patienten mit
Akustikusneurinom und 212 Vergleichspersonen
interviewt. Ergebnis: Handy-Telefonierer waren
nicht überdurchschnittlich häufig erkrankt. Das
relative Risiko betrug 0,9 (0,51-0,57). Das weite
Konfidenzintervall deutet bereits an, dass die
Fallzahl der Studie zu viel zu gering war, um
einen Zusammenhang zu beweisen oder zu
widerlegen.
Die Studie der schwedischen
Umweltmediziner hatte eine etwas größere Fallzahl.
Befragt wurden 148 Patienten und 604 gesunde
Kontrollen. Dass nicht mehr Patienten
eingeschlossen werden konnten, liegt an der
geringen Inzidenz des Tumors von sechs
Neuerkrankungen auf eine Million Einwohner pro
Jahr. Der Tumor hat einen Anteil von etwa neun
Prozent an allen Hirntumoren.
Von den 148
Patienten gaben 14 an, ihr Mobiltelefon seit mehr
als 10 Jahren regelmäßig zu benutzen. Bei den
Kontrollen waren es nur 29 von 604. Die
Epidemiologen errechnen daraus ein relatives
Risiko von 1,9. Doch das
95-Prozent-Konfidenzintervall ist relativ groß
(0,9-4,1) und da es die 1,0-Grenze überschreitet,
ist die Assoziation auch nicht signifikant.
Signifikant ist aber das relative Risiko, wenn nur
Tumoren berücksichtigt wurden, die auf der Seite
entstanden waren, die beim Telefonieren bevorzugt
wurde.
Hier errechnen die Epidemiologen ein
relatives Risiko von 3,9 mit einem
95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,6 bis 9,5. Das
sieht nach einem eindeutigen Ergebnis aus, hält
aber einer methodologischen Kritik nicht unbedingt
stand. Denn die Seite des bevorzugten
Telefonierens war abgefragt worden. Es ist
durchaus möglich, dass die Patienten mit dem
Akustikusneurinom, gewissermaßen einer inneren
Stimme folgend, die nach einem Grund für den Tumor
sucht, ungenaue Angaben machten: Ein “Recall-Bias”
in der Sprache der Epidemiologen. Psychologen
nennen es selektive Erinnerung.
Die
schwedischen Forscher fordern deshalb eine
Bestätigung durch weitere Studien und verweisen
auf die laufende INTERPHONE-Studie. Dass ist eine
Reihe von Fall-Kontroll-Studien, die vom
International Agency for Research on Cancer (IARC)
in Lyon initiiert wurde. Beteiligt sind Zentren in
weltweit 13 Ländern (darunter auch Deutschland).
Sie sollen 6 000 Patienten mit Gliomen und
Meningiomen (sowohl benigner als auch maligner
Natur), 1 000 Fälle von Akustikusneurinomen und
600 Fälle von Parotistumoren umfassen. Erste
Ergebnisse werden für Anfang 2005 erwartet./rme
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