Mobilfunk: Milliarden im Funkloch

Mobilfunk: Milliarden im Funkloch

Lange vor dem geplanten Start bringt der kostspielige neue Handy-Standard UMTS die Telekommunikations-Konzerne in arge Bedrängnis

Das Logo des französischen Mobilfunkriesen Orange leuchtete wie die Abendsonne. Der Anblick jedoch löste am vergangenen Dienstag keinerlei romantische Gefühle aus, sondern versetzte Zehntausende von Anlegern m Untergangsstimmung. Obwohl Eigentümerin France Telecom die Orange-Aktie zum Börsenstart überraschend verbilligt hatte, ließen Anleger die Anteile schnell fallen - und die aller europäischen Telekommunikationsfirmen gleich mit.

So stürzte der Kurs der ehemaligen Volksaktie Deutsche Telekom unter 29 Euro auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Schon munkelten die ersten Aktienhändler, Telekom-Chef Ron Sommer müsse seinen Hut nehmen. Die

Zentrale m Bonn dementierte zwar flugs. Klar ist jedoch: Stabilisiert sich der Aktienkurs bis Ende Mai nicht um die Marke von 33 Euro, können die Aktionäre des US-Mobilfunkanbieters Voicestream die geplante Übernahme durch die Telekom ablehnen - und Sommers Traum vom transatlantischen Konzern platzen lassen.

Verflogen ist die Euphorie von August 2000. Damals hatten sechs Telefonriesen 99 Milliarden Mark allein für das Recht gezahlt, in Deutschland mit dem Standard UMTS die Handy-Netze der nächsten Generation knüpfen zu dürfen. Ihr Ziel: Mobiltelefonierer sollen unterwegs Filme ansehen, im Internet surfen oder Nachrichten abrufen können.

"An dieses Geschäftsmodell glauben die Anleger nicht mehr", erklärt Branchenexperte Frank Wellendorf von WestLB Panmure.

Zu heftig regen sich Zweifel am Wert der teuer ersteigerten Lizenzen. "Der Preis liegt jenseits der wirtschaftlichen Vernunft", urteilt Carlos Wirrzer, Analyst der Rating-Agentur Moody's. Schließlich muss jeder Konzern neben den 16,5 Milliarden Mark pro Lizenz noch bis zu zehn Milliarden Mark für Basisstationen und Technik hinblättern. Nicht gerechnet viele Hundert Millionen für Werbung und neue Inhalte.

Schon jetzt ächzen die Telefonriesen unter enormen Lasten. So drücken die niederländische E-Plus-Mutter KPN 21 Milliarden Euro Schulden - das Doppelte des Umsatzes. Prompt stufte Moody's vergangene Woche die Kreditwürdigkeit des Konzerns deutlich herab. Das leidlich gute Urteil für die Deutsche Telekom ergänzte die Agentur mit dem bedrohlichen Zusatz "Ausblick negativ".

Die düsteren Prognosen verderben den Mobilfunkern die Freude an der neuen Technik. "UMTS wird sich frühestens in zehn Jahren rechnen", erwartet Andreas Hoffmann, Unternehmensberater bei Mummert + Partner. Dabei bleiben den Pionieren (siehe Kasten) nur 20 Jahre, um Gewinne zu erzielen. Dann laufen die Lizenzen aus. "Von den sechs Anbietern werden nur zwei oder drei übrig bleiben", prophezeit Stefan Heng von Deutsehe Bank Research. Die Kernfrage: Wie viele Deutsche können sich ab 2002 für die neuen Multimedia-Handys begeistern - und zu welchem Preis? Schließlich werden die alten Netze zunächst weiter funken. "UMTS muss schnell von einer breiten Masse genutzt werden, damit es sich lohnt", mahnt Berater Hoffmann. Auf der Jagd nach Abnehmern besetzen T-Mobil und Mannesmann/Vodafone immerhin eine günstige Startposition. Verfügen sie doch bereits über 20 Millionen D-Netz-Teilnehmer, die sie nur noch für UMTS gewinnen müssen. Mancher Konkurrent fängt hingegen auf dem deutschen Markt bei null an.

Mobilcom-Chef Gerhard Schmid besitzt zwar auch kein eigenes Mobilfunknetz, zählt aber vier Millionen Handy-Kunden. Er hat beim UMTS-Aufbau einen Minivorsprung herausgeschunden. "Da zählt jeder Monat", ist Hoffmann überzeugt: "Wer als Erster seine Angebote präsentiert, zieht Geschäftskunden und Technikfreaks an, die bereit sind, die hohen Preise zu zahlen." Knapp 130 Mark pro Kunde will Mobilcom monatlich umsetzen. 100 Mark soll der Teilnehmer selbst zahlen, den Rest will Schmid von Dienstleistem kassieren, die ihre Angebote übers Netz schicken.

Bislang wissen jedoch nur wenige Unternehmen genau, was sie anbieten wollen. " Wir leisten Missionarsarbeit", stöhnt Alfred Müller, Geschäftsführer von Nets. Obwohl das Unternehmen nur die Technik für Mobilfunkanwendungen entwickelt, muss Müller seine Kundschaft oft erst mit eigenen Inhaltskonzepten auf Geschäftsideen bringen.

Geplant sind vor allem Infodienste: Börsenkurse, Verkehrsnachrichten und Service, der genau auf den Kunden und seinen Aufenthaltsort zugeschnitten ist. So könnten Reisende Hinweise auf freie Hotels bekommen, sobald sie aus dem Flugzeug steigen; aus Kurznachrichten per SMS könnten farbige Bildpostkarten werden.

Noch stochern alle im Nebel. "Wie bei allen Markteinführungen ist es immer schwer einzuschätzen, wie viel Geld die Kunden bereit sind, hierfür auszugeben", registriert Susanne Söffge von der Unternehmensberatung Cap Gemini Telecom Media. T-Mobil-Sprecher Stephan Althoff räumt ein: "Die Killer-Anwendung, die UMTS zum Durchbruch verhilft, kennen wir noch nicht." Gordon Simon von BT-Wireless, Mutter von Viag Interkom, lässt sich nicht irritieren: " Vor drei Jahren wusste auch niemand, dass Kurznachrichten einmal der Renner werden." Der Markt werde etwas entwickeln, an das jetzt noch keiner denke, hofft der Brite.

Zunächst muss UMTS jedoch die ersten Praxistests überstehen. "Das größte Problem ist, dass die Technik noch nicht ausgereift ist", warnt Klaus-Ulrich Feiler, Unternehmensberater bei Roland Berger. "Keiner hat sich Gedanken gemacht, was passiert, wenn überall in Europa Anbieter auf einen Schlag ihre Netze aufbauen wollen", mahnt Feiler.

Engpässe sind schon absehbar. Das versprochene Übertragungstempo von zwei Megabit pro Sekunde - 200-mal mehr als bei einem herkömmlichen Handy - stellt nur einen Laborwert dar. In der Realität steht pro Basisstation nur ein Kanal mit der vollen Leistung zur Verfügung. "Funken mehrere Handys die Station an, müssen sie sich die Kapazität teilen", bemerkt Horst Schäfers, Chef des Düsseldorfer City-Carriers Isis.

Wahre Spürhund-Qualitäten müssen auch die ersten UMTS-Kunden beweisen. Zum Start werden die Multimedia-Handys so rar sein wie eine störungsfreie Funkverbindung im Tunnel.

M. kietzmann/a. korner/n. matthes FOCUS 8/2001