BW: Ein trauriges Musterbeispiel, was "Strahlenschutz" für Politiker bedeutet und welches 1:1 auf Mobilfunk übertragbar ist; hier wurde inzwischen offenbar nachgewiesen, wie gelogen und betrogen wird - und die todkranken Frührentner und ihre Familien sogar noch um geringfügigste finanzielle Entschädigungen ("Berufskrankheit") gebracht werden.


Krebs durch Radarstrahlen
Ex-Soldaten werfen Bundeswehr unterlassenen Schutz vor
Von Beatrix Hardt, Redaktion Länderspiegel

Nach Recherchen der ZDF-Redaktion Länderspiegel waren Soldaten bei ihrer Tätigkeit an Radargeräten nachweisbar einer Röntgenstrahlung ausgesetzt, die weit über der zulässigen Dosis lag. Mögliche Folgen: lebensbedrohliche Krebserkrankungen. Die Bundeswehr - so der Vorwurf der Soldaten - habe von der Gefahr gewusst, Schutzmaßnahmen aber jahrelang unterlassen.

Dokumente und Unterlagen über Messwerte belegen, dass der Bundeswehr bereits seit Ende der 50er Jahre bekannt gewesen sein muss, dass die Fachkräfte an den Radarbodengeräten einer überhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt waren. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie, die das Bundesverteidigungsministerium bei der Universität Witten-Herdecke in Auftrag gegeben hat.

Sie erfasst 99 ehemalige Radarspezialisten mit erheblichen Gesundheitsproblemen. Laut Studie sind von den 99 Soldaten 69 an Krebs erkrankt, 24 davon inzwischen verstorben - im Schnitt im Alter von 40 Jahren. Selbst Anfang der 90er Jahre habe es noch deutliche Grenzwertüberschreitungen gegeben, zum Beispiel beim System Patriot.

UNTER VERSCHLUSS
"Sie haben gemessen, sie haben gewusst..., aber haben nichts getan. Also bin ich der Meinung, dass der Verteidigungsauftrag wichtiger ist als die Gesundheit der Soldaten" (PETER RASCH Ex-Zeitsoldat der Technischern Schule der Luftwaffe in Kaufbeuren)

Das Bundesverteidigungsministerium streitet die Existenz eines Abschlussberichtes ab. Man erwarte endgültige Ergebnisse erst 2002, heißt es dort. Und weiter: "Bisherige Zwischenergebnisse weisen darauf hin, dass ein gesundheitliches Gefährdungspotential nur im Rahmen eines Unfallgeschehens mit entsprechender Freisetzung von Strahlung gewertet werden kann."

Tatsächlich aber liegt der Endbericht der Studie längst vor - seit beinahe zwei Jahren - und werde von der Bundeswehr offenbar unter Verschluss gehalten. Denn die Gutachter haben eine Vielzahl ehemaliger Radartechniker ermittelt, deren Krebserkrankungen - Hirntumore, Leukämie, Lymphdrüsen- und Lungenkarzinome u.a. - mit der unzulässigen Strahlenbelastung in Verbindung gebracht werden können. Im Ergebnisbericht heißt es: "Im Resultat kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die gesetzlich festgelegten Sicherheitsgrenzwerte für (...) Strahlung überschritten wurde." Die betroffenen Soldaten wurden in ihrer Dienstzeit darüber weder informiert noch davor geschützt.

KEIN EINZELSCHICKSAL
Einer davon ist Unteroffizier Peter Rasch, der als Zeitsoldat bei der Technischen Schule der Luftwaffe in Kaufbeuren stationiert war - als Radartechniker. In seiner Krankenakte aus den sechziger Jahren ist zu lesen: 39 mal war Peter Rasch krank, und das in nur vier Jahren Dienstzeit: Lungenentzündung, immer wieder Fieberanfälle, Probleme mit Magen und Luftröhre, Hautausschläge, Haarausfall, schließlich eine Nervenlähmung. Der Soldat wurde untersucht und behandelt, hat Schläuche geschluckt, wurde geröntgt und zu Fachärzten überwiesen - mit dem immer gleichen Ergebnis: Ursache unklar.

Nach seiner Entlassung besserte sich sein Gesundheitszustand zunächst; doch dann, vor sieben Jahren plötzlich die Diagnose: Lungenkrebs. Peter Rasch hatte Glück - die Chemotherapie schlug an; der Gesundheitszustand des 59-Jährigen ist stabil. Nur durch Zufall wurde der ehemalige Zeitsoldat darauf aufmerksam, dass eventuell die Radarstrahlen, denen er beim Luftwaffenstützpunkt ausgesetzt war, mit seiner Erkrankung in Verbindung gebracht werden könnten. Jetzt klagt Peter Rasch an: Die Bundeswehr habe ihr Radarpersonal jahrzehntelang gefährlicher Strahlung ausgesetzt - und das wissentlich.

Kein Einzelschicksal; etwa 900 Soldaten waren in den letzten drei Jahrzehnten von der überhöhten Strahlenbelastung betroffen. "Man wollte das den Soldaten nicht mitteilen, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass sich dann ein Großteil der Soldaten hätte versetzen lassen wollen," erklärt Peter Rasch. Aber der Bundeswehr sei der Verteidigungsauftrag offenbar wichtiger gewesen als die Gesundheit ihrer Soldaten.

MESSBERICHTE BESTÄTIGEN VEDACHT
Heute hat Peter Rasch Dokumente in Händen, die seine Vorwurfe stützen: Das bayrische Landesinstitut für Arbeitsschutz hat bereits 1958 seinen Arbeitsplatz in Kaufbeuren auf Strahlung untersucht und einer zu hohe Belastung durch Röntgenstrahlen festgestellt. Schon damals wurden Warnhinweise und Bleiabschirmungen für Radargeräte dringend empfohlen. Auch der Strahlenmessbericht der Stellung Möhnsee aus dem Jahr 1992 ergab für die austretende Strahlung eine Grenzwertübertretung um das 15-fache - Konsequenzen sind bis heute nicht erfolgt.

Seit Jahren kämpfen ehemalige Radartechniker gegenüber der Bundeswehr um die Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung - mit bislang geringem Erfolg. Die Tatsache, dass die Bundeswehr ihre Soldaten nicht ausreichend vor der Strahlenbelastung geschützt hat, wird ihnen auch heute noch zum Nachteil. Man versuche, sich um eine Versorgungsleistung zu drücken, so Peter Rasch, die Bundeswehr übernehme keine Verantwortung im Strahlen-Skandal. Und nach deutschem Recht haben die Betroffenen einen schweren Stand: "Nach dem Gesetz ist der Geschädigte beweispflichtig", sagt Rasch. Aber für seine Dienstzeit könne er die geforderten Strahlenmesswerte nicht erbringen. Er habe bei seiner Arbeit am Radargerät kein Dosimeter getragen - und genauso gehe es den anderen auch.

AUSMASS NOCH UNKLAR
Wie viele junger Radartechniker während ihrer Tätigkeit bei der Bundeswehr insgesamt verstrahlt wurden, darüber lässt sich nur spekulieren. Allein die Studie der Universität Witten hat 99 Fälle aufgedeckt; die Dunkelziffer, deren Höhe die Personalämter der Bundeswehr erfasst haben müsste, dürfte weitaus höher sein. Auch der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Oberst Bernhard Gertz, vermutet, "dass das Problem noch viel größer sein muss, als der bisher bekannte Personenkreis". Offenbar habe die Bundeswehr sich bei der Erhebung der Studie nicht kooperativ gezeigt. Gleichzeitig kritisierte Gertz, dass die Bundeswehr das Arbeitsschutzgesetz - wie es für alle Arbeitnehmer in Deutschland gelte - für Soldaten noch immer nicht anwende.
13. Januar 2001 / http://www.zdf.msnbc.de/news/69580.asp
www.buergerwelle.de


http://www.swr.de/report
Neuer Strahlenskandal - Ex-Bundeswehroffiziere klagen an

Bericht: Thomas Reutter , Klaus Tomaschewski, K.J. Gulde
Schnitt: Ibon Alkorta
Moderation Bernhard Nellessen:
Kaum etwas hat die Bundeswehr in ihrer Geschichte mehr erschüttert als die Absturzserie der Starfighter. 116 Piloten kamen in dem Kampfflugzeug ums Leben. Ende der 80er Jahre wurde die Maschine ausgemustert, doch Opfer fordert sie immer noch. Techniker der Luftwaffe wurden bei Indstandsetzungsarbeiten über Jahre hinweg starker radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Die Betroffenen wurden weder geschützt noch informiert. Jetzt fordern sie Entschädigung. Das Verteidigungsministerium aber stellt sich taub. Ein Bericht von Thomas Reutter.

Bericht:
Der Starfighter. Von der Auslieferung 1962 bis zur Ausmusterung 1987 stürzten 290 Maschinen ab. Die beispiellose Serie gilt noch heute als eines der dunkelsten Kapitel der Bundeswehr. 116 Piloten flogen in den Tod. Am Ende hieß er nur noch der "Witwenmacher".
Und nach REPORT-Recherchen waren die Piloten nicht die letzten Opfer des Starfighters. Aber der Reihe nach...
Es geht um diesen unterirdischen Atombunker der Luftwaffe im bayerischen Landsberg. Hier wird bis heute die Bordelektronik von Kampfflugzeugen instand gesetzt. Als man in den 60er Jahren damit begann, kannte man bereits die Gefahren: Bestimmte Bauteile setzen Strahlung frei. Hochfrequenzstrahlung, Röntgenstrahlung und radioaktive Strahlung. Einer, der jahrzehntelang im Bunker dieser Strahlung ausgesetzt war, ist Josef Schlinger. Heute ist er unheilbar krank. Schlinger leidet an Leukämie. Er besucht einen anderen Betroffenen, seinen ehemaligen Vorgesetzten, den damaligen Strahlenschutzbeauftragten der Bundeswehr im unterirdischen Bunker, der ebenfalls an Strahlenkrankheiten leidet.

O-Ton, Josef Schlinger, Elektrotechniker:
»Da wir ja von der Strahlung nicht so früh informiert worden sind, da die Messgeräte gefehlt haben - wir haben ja nur annehmen können, was da rauskommt. Dass eine Strahlung rauskommt, das haben wir ja gewusst. Nur wieviel und wie belastend und... man hat ja keine Aussage machen können.«

O-Ton, Josef Wollitzer, Hauptmann a. D.:
»Du weißt ja selber, welche Versuche wir gemacht haben, wie häufig wir nach oben hin Angriffe, sag' ich mal, gemacht haben, um wirklich mal klare Aussagen zu bekommen. Aber wir haben keine Unterlagen gehabt, in welcher Höhe eine entsprechende Strahlung zu erwarten war. Wir haben keine Messmittel bekommen.«

Das Starfighter-Radar auf einem Teststand. Winzige Teile im System strahlten radioaktiv. Wer es auseinander baute, kam zwangsläufig ganz nah an die Strahlenquelle. Doch die Techniker arbeiteten ungeschützt und uninformiert.

O-Ton, Josef Wollitzer, Hauptmann a. D.:
»Mit Herausgabe der Strahlenschutzordnung in den 60er Jahren sind in der normalen Wirtschaft geeignete Messmittel vorhanden gewesen, aber sie waren, aus welchem Grund auch immer, ich weiß es nicht, nicht in den Bereich Dienststellen vor Ort, Bundeswehr eingeführt worden.«

Die Bundeswehr im Kalten Krieg. Das Wettrüsten mit dem Ostblock überschattete alles, offenbar auch den Strahlenschutz. Was alleine zählte, war die Einsatzfähigkeit. Der Starfighter musste fliegen, um jeden Preis. Nicht nur das Leben der Piloten war zweitrangig, auch die Gesundheit der Techniker.

O-Ton, Josef Schlinger, Elektrotechniker:
»An erster Stelle ist halt die Instandsetzung gestanden. Das ist halt wichtig gewesen. Instandsetzung, da war das mit der Sicherheit vielleicht nicht so wichtig.«

Viele von Schlingers Kameraden sind erkrankt. Fünfzehn von ihnen haben versucht, von der Bundeswehr eine Entschädigung für Strahlenschäden zu bekommen. Bislang ohne Erfolg.

O-Ton, Josef Wollitzer, Hauptmann a. D.:
»Bisher hatten wir als Betroffene immer das Gefühl, dass gemauert wird. Seitens der Bundeswehr, seitens der Ämter, seitens der Begutachter.«

Frage: Inwiefern gemauert?

O-Ton, Josef Wollitzer, Hauptmann a. D.:
»Dass nicht sein darf, was ist.«

Wir dürfen zwar in der Sperrzone drehen, Interviews zur Strahlung sind aber verboten. Das Verteidigungsministerium mauert auch REPORT gegenüber. Bei unseren Recherchen erfahren wir, dass es doch eine Messung der Radioaktivität gab. 1983 durchgeführt, wurden die Ergebnisse bis heute der Öffentlichkeit verschwiegen.

O-Ton, Josef Wollitzer, Hauptmann a. D.:
»Da wurde aufgrund von Messungen durch die Strahlenschutz Messstelle Süd festgestellt, dass wir an diesen Arbeitsplätzen einer Kernstrahlung von bis zu 11,33 rem pro anno ausgesetzt waren. Für nicht exponierte Personen ist eine Belastung, ein maximaler Grenzwert von 500 Millirem vorgegeben, so dass Sie sich ja ausrechnen können, dass die Belastung, die wir gehabt haben, mehr als das 20fache der zulässigen Dosis ist.«

Dieses interne Schreiben der Luftwaffe aus dem Jahr 1983 führt die Messwerte genau auf und bestätigt die Vorwürfe:

ZITAT: »Die im oben angeführten Arbeitsbereich erreichten Personendosen überschreiten erheblich die im Verteidigungsministeriumsblatt vorgegebenen Grenzwerte.«

Zur Verantwortung der Bundeswehr gegenüber strahlengeschädigtem Personal wollte Minister Scharping REPORT kein Interview geben. Auch über die Zahl radioaktiv verstrahlter Soldaten gibt es keine Informationen.

Wir konfrontieren Professor Wolfgang Köhnlein mit unseren Recherchen und den Messergebnissen der Luftwaffe. Köhnlein ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Strahlenschutzkommission der Bundesregierung.

O-Ton, Prof. Wolfgang Köhnlein, Deutsche Strahlenschutzkomission:
»Mir ist es neu, dass also solche chaotischen, muss man ja schon sagen, von der strahlenbiologischen Seite her chaotischen Arbeitsplätze vorhanden waren, dass Arbeitnehmer, Bundeswehrangehörige, solchen Dosen ausgesetzt waren, die weit über dem liegen, was die Strahlenschutzverordnung einem, der mit Strahlen umgeht, jährlich zumutet.
Offenbar ist vieles unter den Teppich gekehrt worden oder vieles nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, was letztlich sehr viel früher wäre abgestellt worden, hätte die Öffentlichkeit davon Kenntnis gehabt.«

Erst 1983 wurde angeblich die Strahlengefahr abgestellt. Fast 20 Jahre zu spät hatte die Luftwaffe die Strahlung genau gemessen und Bleiabschirmungen eingeführt. Damit war für das Verteidigungsministerium der Fall erledigt. Wäre die Bundeswehr ein ziviles Unternehmen, müsste wohl der Staatsanwalt wegen Körperverletzung ermitteln. Das wird den Betroffenen jetzt klar.

O-Ton, Josef Schlinger, Elektrotechniker:
»Da, wo mir noch nichts gefehlt hat, habe ich das halt akzeptiert und habe gesagt: Das wird schon in Ordnung sein. Es sind ja andere da, die für mich ja die Gesundheit praktisch herstellen, und dass meine Gesundheit nicht geschädigt wird. Da ist auch der Gesetzgeber dafür verantwortlich und der Arbeitgeber genauso. Ich hab' ja nur diese Arbeit auszuführen.«

Frage: Und darauf haben Sie sich verlassen?

O-Ton, Josef Schlinger, Elektrotechniker:
»Und auf das habe ich mich verlassen.«

Das Bundesamt für Strahlenschutz gibt Schlinger Recht: Die Bundeswehr trägt die Verantwortung eines Arbeitgebers. Die Luftwaffe hätte die Strahlung von Anfang an messen und abschirmen müssen.

O-Ton, Klaus Matignoni, Bundesamt für Strahlenschutz :
»Solch ein Arbeitgeber kommt zwei Aspekten nicht nach. Das eine ist die gesetzliche Fürsorge, der Arbeitsschutz wird nicht erfüllt. Und das zweite ist die Fürsorgepflicht, die jeder Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer hat, die wird auch nicht erfüllt.«

Hier die Arbeitgeber: Verteidigungsminister aus zwei Jahrzehnten haben die Starfighter-Techniker einem 22fachen der zulässigen Strahlenbelastung ausgesetzt. Jetzt will die Bundeswehr nicht einmal für die Behandlung der Kranken aufkommen. Einer seiner Kameraden ist im vergangenen Jahr gestorben, ohne Entschädigung von der Bundeswehr. Ob Josef Schlinger eine Entschädigung noch erleben wird, ist fraglich.

Abmoderation Bernhard Nellessen:
Ein Interview mit einem Verantwortlichen des Ministeriums wurde uns wie gesagt verweigert. Stattdessen gab es heute diese karge Stellungnahme:

Beschäftigte der Bundeswehr, heißt es darin unter anderem, seien zu keiner Zeit wissentlich überhöhter Strahlung ausgesetzt worden. Vielmehr habe man stets dafür Sorge getragen, dass die jeweils gültigen Grenzwerte eingehalten und möglichst unterschritten wurden. Wir von REPORT Mainz, liebe Zuschauer, bleiben bei den Ergebnissen unserer Recherchen.

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