Der Überwachungsstaat schlägt zu: Eine erschreckende Zusammenfassung zum Thema von Wolfgang Hingst:

Kommissar Handy

Einen Handy-Typ hat Umberto Eco vergessen. In der Boulevard-Presse hat er schon Einzug gehalten. Über ihn heißt es in einer einschlägigen Gazette: "Der Gauner hat sein Handy den ganzen Tag am Ohr. Ob er wirklich telefoniert, kann man meistens nicht feststellen, denn er redet kaum, sondern lauscht andächtig. Wenn dann doch ein Wort seine Lippen verlassen sollte, dann nur Ja oder Nein. Kann er dennoch vollständige Sätze nicht vermeiden, spricht er so leise, dass auch sein Nebenmann ihn nicht verstehen kann."

Eigentlich ein angenehmer Zeitgenosse - was das Mobiltelefonieren betrifft. Er spricht natürlich mit Wertkarte, anonym. Denn er weiß, wie oft die Polizei schon über registrierte Handys zuschlug: z.B. beim Wiener Privatbankier Wolfgang Rieger, der sich mit einigen Milliönchen aus dem Tresor seines eigenen Bankhauses in südliche Gefilde absetzte. Aber auch zu den Mördern des Mafiajägers und Richters Giovanni Falcone führte ein Mobiltelefon.

Ein sizilianischer Mafioso, Antonio Gioe, hatte am 19. März 1993 von seinem Handy aus mit Giuseppe La Barbera, einem Mitglied seines eigenen Clans telefoniert. Beamte der Antimafia-Behörde hatten das Gespräch mitgehört. Wenig später wurden beide Mafiosi verhaftet. Die Computerauszüge des Handys, das Antonio Gioe verwendet hatte, führten schließlich auf die Spur der Falcone-Attentäter: Am 23. Mai 1992. kurz nach der Landung von Falcone und seiner Frau am Flughafen, war mit diesem Handy telefoniert worden, offenbar, um den Bombenlegern die Nachricht durchzugehen. Das Handy hatte als "logistischer Helfer" (P. Hartmann, 1993) eines Mordkommandos gedient. Wenige Minuten später starben Falcone, seine Frau und drei Männer der Eskorte bei der Autohahnausfahrt von Capaci auf dem Weg nach Palermo durch die Detonation einer riesigen Bombe, die - von einem Olivenhain aus - ferngesteuert gezündet wurde. Antonio Gioe, der Mann, der zuviel am Handy hing, erhängte sich ein Jahr später im römischen Rebibbia-Gefängnis an den Schnürriemen seiner Jogging-Schuhe.

Nur Wertkarten-Handys entziehen sich dem Zugriff. Bei einem normalen Handy werden Aufenthaltsort, angewählte Nummern und eingegangene Anrufe vom Betreiber (in Osterreich ein halbes Jahr lang) gespeichert - zur Überprüfbarkeit der Rechnungen, wie es heißt. Beim Wertkarten-Handy werden zwar die Anrufe registriert, aber der Wertkartenkäufer bleibt anonym.

Nur für registrierte Mobiltelefonierer ist also das Handy ein "Hilfssheriff" (Der Spiegel 17/1998). Beim Wertkarten-Handy spricht der Teilnehmer nicht überwachbar - ein Dorn im Auge der Justiz und Exekutive. Der österreichische Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, forderte 1998 ein Verbot der Wertkarten-Handys oder wenigstens eine verpflichtende Registrierung der Besitzer. Beides bekam er bis jetzt nicht, weil sich die Handy-Lobby massiv querlegte. Hansjörg Tengg, Ex-Leiter des großen österreichischen Handy-Betreibers max. mobil: "Eine völlig überzogene Forderung." Mobilkom-Chef Heinz Sundt: "Das Verbot wäre doch so, als würde man die Herstellung von Papier verbieten, nur weil es Kriminelle gibt, die auch lesen und schreiben können."

Nach § 89 des Telekommunikationsgesetzes (1997) sind zwar die Netzbetreiber schon jetzt "verpflichtet, alle Einrichtungen bereitzustellen, die zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den Bestimmungen der StPO erforderlich sind" (StPO = Strafprozessordnung). Das heißt, es sollen auch die technischen Voraussetzungen zum Abhören von Handys - bisher noch nicht möglich - geschaffen werden. Bis heute wurden aber solche Abhöranlagen nicht eingebaut, da niemand die Kosten tragen will. Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung bei max.mobil, beziffert sie auf mehrere hundert Millionen Schilling: "Das werden wir nicht widerstandslos hinnehmen" (M. Hafner, 1998). Standortmeldungen von registrierten Handys machen ihre Besitzer zu einem offenen Buch. Alles, was elektronisch über Handys (aber auch Internet, Kreditkarten, Bankomat usw.) abgewickelt wird, kann "rund um den Globus protokolliert werden und ist damit nachvollziehbar" (M. Simoner, 1999). Mitte Juni 1999 wurde in Wien ein Symposium mit dem sinnreichen Titel "Is Big Brother watching you?" veranstaltet. Dort sagte Heinrich Otruba, Geschäftsführer der österreichischen Regulierungsbehörde Telekom Control, es "laufe ihm kalt über den Rücken", wenn er an die geplanten Abhörbefugnisse europäischer Polizeibehörden denke.

Da schon jetzt von Missbrauch - mit richterlichem Befehl - berichtet wird, schreien die Mobiltelefon-Betreiber Feuer. Gerald Reischl zitiert im Kurier vom 11. November 1998 einen "Insider": "Es liegen uns Schreiben vor, in denen man klar sieht, dass 'der dringende Verdacht auf Drogenkriminalität' nur vorgeschoben wurde, damit der Richter dem Antrag auf Telefonüberwachung zustimmt." Was dann auf die Handyisten zukommt, wenn die Gesetzesnovelle durchgeht, malt Martin Bredl, Sprecher der größten österreichischen Betreiberfirma Mobilkom, so an die Wand: "Damit machen die Datenjäger des Innenministeriums die Handy-Kunden zu gläsernen Menschen." Das sei in Wahrheit, so Bredl, ein Freibrief dafür, ohne richterlichen Auftrag Daten zu erhalten. Ich würde allerdings die Möglichkeit nicht ganz ausschließen, dass die Betreiber den Schutz der Bürgerrechte vorschieben und ihre Geschäftsinteressen meinen.

Auch Datenschutzexperten wollen keinen rechten Sinn in der Lauschattacke sehen: Perfekt organisierte Kriminelle könne man durch das Abhören von Wertkarten-Handys kaum erwischen. Profis hätten Dutzende Möglichkeiten, unerkannt zu telefonieren - etwa über gestohlene Handys, manipulierte Wertkarten, ganz einfach von der nächsten Telefonzelle aus oder, noch einfacher, von einem Handy mit ausländischer Prepaid-Card. Auch so könne man in Österreich völlig anonym plauschen. Die Sammlung von Bewegungsdaten führe zum "Überwachungsstaat".

Wenn man bedenkt, dass bereits heute mit bestimmten Schlüsselwörtern sämtliche digitalen Telefonnetze durchkämmt werden, kann man die Sorgen der Datenschützer teilen. Nach einem Bericht des Arbeitsausschusses für Bürgerrechte und Innere Angelegenheiten im Europaparlament "fängt der amerikanische Geheimdienst NSA (National Security Agency) systematisch sämtliche E-Mails, Telefonate und Faxe ab" (U. Duhm, 1999). Die zusammengetragenen Informationen werden über ein internationales System ausgetauscht, an dem sich die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland beteiligen.

Der diesem Spionagesystem zugrundeliegende Geheimpakt wurde schon 1948 unterzeichnet und trägt die Bezeichnung UKUSA (United Kingdom - United States Agreement). Die Vereinigten Staaten spielen dabei den Seniorpartner, die anderen untergeordnete Materiallieferanten. Jedes der fünf Spionagezentren versorgt die anderen mit Schlüsselwort-Lexika, um die Informationen zu filtern. Elektronische Post, die in digitaler Form vorliegt - wie auch beim Handy - lässt sich in Datenbanken leicht verarbeiten und ist daher bei den Lauschern besonders attraktiv. Nach Recherchen des britischen Blattes Guardian hat die EU mit den UKUSA-Staaten 1997 ein Geheimabkommen unterzeichnet, wonach die Infrastruktur für die Überwachung aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Verfügung gestellt wird. Da geht es nicht nur um das Ausspionieren der Bürger, sondern auch um Industriespionage.

Auch ein internes Dokument der Europol, der Europäischen Polizei, mit dem Titel "Enfopol 98" lässt für die Freiheit und den Schutz der Telekommunikation nichts Gutes erwarten. Die Europol verlangt darin eine flächendeckende Abhörstruktur für Mobilkommunikation (H. Wosihnoj, 1998). Vor allem das im Aufbau befindliche Iridium-System, mit dem über Satelliten weltweit telefoniert werden kann, aber auch das Internet sind voll im Visier staatlicher Neugier. Überwachungsunion Europa?

Was in Österreich knapp bevorsteht, ist in Deutschland bereits Wirklichkeit.
Standortmeldungen von Mobiltelefonen dürfen nach einem Erkenntnis des Dortmunder Gerichtes bereits für Fahndungszwecke verwendet werden. Das kam so: Einer der Ganoven eines Gangster-Trios nutzte bei bewaffneten Raub-Überfällen auf Banken und Sparkassen im Raum Duisburg/Dortmund ein D1- Netz-Handy der Telekom-TocherT-Mobil. Der Staatsanwalt orderte 1997 beim Netzbetreiber die "Bewegungsdaten" des Gerätes. T-Mobil legte Beschwerde ein.

Um die Entscheidung von Dortmund gebührend würdigen zu können, muss man wissen, dass die deutsche Bundesregierung den Antrag des Bundesrates auf Verankerung der Erstellung von Bewegungsbildern mit Hilfe der Positionsmeldungen in der Strafprozessordnung bisher abgelehnt hat. Zunächst müssten Polizei und Justiz die Notwendigkeit "besonders sorgfältig" nachweisen (Der Spiegel, 17/1998). Die Entscheidung des Landgerichts Dortmund fegte nun staatsrechtliche Bedenken vom Tisch und räumte den Fahndern weitreichende Kompetenzen ein. Die Richter verpflichteten T-Mobil sogar, der Staatsanwaltschaft die Computeraufzeichnungen der Aktivmeldungen zugänglich zu machen.

Die Ösis, wie man in deutschen Landen die Österreicher mehr oder weniger liebevoll nennt, reizt das noch zu Scherzen - wobei offen ist, wann das Lachen im Hals stecken bleibt: "Man stelle sich die Aufregung vor", hieß es am 30. Dezember 1997 im Standard, "die Regierung verordnet jedem Österreicher ein keckes Fußketterl mit Peilsender, um ihn jederzeit ausfindig zu machen. Dieses gesetzlichen Kunstgriffes bedarf es nicht mehr. Die Peilsender werden in Form von vibrierenden und piepsenden Telefonen sogar käuflich erworben." Und heißen Handys. Deren Besitzer sind in der Tat nicht nur grenzenlos mobil, sondern auch grenzenlos verfolgbar, wenn sie ihr Gerät eingeschaltet haben. Es ist nicht einmal notwendig, dass sie telefonieren!

Bei allem Für und Wider sollte man dieses nicht vergessen: Es existiert keinerlei Zwang, ein Handy zu besitzen! Auch in der Vor-Handy-Zeit konnte man ausreichend kommunizieren.
   

(Quelle: Wolfgang Hingst, Handy-Fieber, Wien 1999, S. 24 ff.)