FOCUS 5 / 2001
HANDYS
Riskantes Strahlenbad
Forscher finden immer mehr von Handy-Strahlung ausgelöste biologische Effekte. Unklar ist, ob sie krank machen

Der Tumor in Christopher Newmans Kopf war so groß wie ein Golfball. Weil er nahe am Ohr wucherte, argwohnte der Nervenarzt aus Baltimore, die Funkwellen seines Handys hätten den Krebs verursacht. Deshalb kündigte er im vergangenen Jahr an, den Hersteller Motorola sowie einige Netzbetreiber - darunter die Tochterfirma Verizon des britischen Mobilfunkriesen Vodafone - auf 800 Millionen Dollar Schadenersatz für die Behinderung zu verklagen, die nach seiner Operation zurückblieb. Prompt fiel Vodafones Aktienkurs.

Eine soeben vorgestellte Studie, durchgeführt an der Universitäts- Augenklinik Essen, scheint den Verdacht zu bestätigen, dass Handy-Strahlung Krebs auslösen kann. Patienten, die an einem Tumor der mittleren Augenhaut leiden, hatten signifikant häufiger mobil telefoniert als Menschen aus einer Kontrollgruppe. Schwedische und US-Epidemiologen, die im Zuge zweier weiterer neuer Studien die Handy-Nutzung von Hirntumorpatienten untersucht hatten, fanden indes keinen derartigen Zusammenhang.

Derlei Widersprüche kennzeichnen die Diskussion um mögliche Gesundheitsrisiken durch das Mobiltelefon. Jeder Warnung einer Forschergruppe vor Strahlenwirkungen folgt meist die Entwarnung durch eine andere. Bis heute wurden über 20 000 Studien und Fachartikel zu dieser Frage veröffentlicht. Schlüssige Aussagen sind aber nach wie vor nicht möglich.

Der Grund dafür ist, dass die Forscher zwar immer detaillierter erkennen, was die von Handys, schnurlosen DECT-Telefonen und anderen elektrischen Geräten ausgestrahlten elektromagnetischen Felder (EMF) in biologischen Systemen bewirken - doch bleibt weitgehend unklar, ob die meist nur schwachen Effekte Menschen krank machen oder nicht.

Die elektronischen Bimmelgeister strahlen mit einer Sendeleistung von zwei Watt und einer Mikrowellenfreguenz von 900 Megahertz (E-Netz knapp ein Watt 1800 MHz) unmittelbar in den Kopf. Zusätzlich tauchen rund 40.000 Basisstationen die Menschen in ein allgegenwärtiges Strahlenbad.

Doch erst ihre gepulste Strahlung, sagen kritische Forscher, mache die Handys gefährlich. Sie übertragen Gespräche nicht kontinuierlich (analog), sondern in 217 Tonhäppchen pro Sekunde zerstückelt. Mit dieser Frequenz wird die Strahlung, ähnlich dem Licht einer Stroboskoplampe, an- und ausgeschaltet, was den Organismus besonders belaste.

In erster Linie bringen Ärzte Erkrankungen des Zentralnervensystems mit dem Handy in Verbindung. Seine EMF sollen das Denkorgan stressen, was zu Konzentrations- und Schlafstörungen sowie Gedächtnisschwäche führt. Zudem könnten sie Drehschwindel, Migräne, Schlaganfälle und Demenzen wie Alzheimer auslösen, schlimmstenfalls eben auch Krebs. Bei Herzinfarkt, Bluthochdruck und Fruchtbarkeitsstörungen stehen Handys ebenfalls unter Verdacht.

Frühe Hinweise auf eine Beeinflussung der Hirnfunktion lieferte 1993 ein Experiment des Biophysikers Lebrecht von Klitzing. Er fand bei Versuchspersonen, deren Kopf er mit gepulsten EMF bestrahlte, veränderte Hirnströme.

Umgehend attackierten Fachkollegen den Lübecker Forscher. Sie warfen ihm eine fehlerhafte Versuchsauswertung vor und mutmaßten, seine Probanden seien schlicht entschlummert. Neurologen von der Ruhr-Universität Bochum sowie des Münchner Universitätsklinikums Großhadern versuchten erfolglos, die Studie zu reproduzieren.

Später fanden Ärzte der Universität Mainz jedoch heraus, dass eingeschaltete Handys am Bett die Nachtruhe junger Männer tatsächlich stören. Deren Traumschlafphase war, wie Hirnstrommessungen zeigten, signifikant verkürzt. Dies könne das Gedächtnis beeinträchtigen, argwöhnen die Mainzer, weil im Traumschlaf die Eindrücke des vergangenen Tages ins Langzeitgedächtnis gespeist werden. Ähnliches entdeckten Wissenschaftler der Universität Zürch. Bei ihren Versuchspersonen stieg die Intensität bestimmter Hirnwellen um 15 Prozent, zugleich verkürzten sich die "Wachepisoden" im normalen Schlaf.

Umstritten ist auch ein Befund von Neurologen der Universität Lund in Schweden.


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"Handys verursachen ein Gesundheitsrisiko für eine unbekannte Zahl zunächst nicht Identifizierbarer Menschen" [ Gerard Hyland ] Physikprofessor, Universität Warwick


Sie hatten bemerkt, dass die Blut-Hirn-Schranke von Ratten unter dem Einfluss schwacher EMF durchlässig wird. Diese Zellbarriere verhindert, dass Gifte aus den Blutgefäßen in das Nervengewebe übertreten. Wird sie löchrig, könnten Schadstoffe in das Hirn vordringen und Leiden wie Parkinson oder Alzheimer auslösen.

Neuere Studien, durchgefühlt am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln sowie der Universität Heidelberg, stellen die Ergebnisse der Schweden wieder in Frage. Die deutschen Forscher sahen den Effekt nur bei extrem starken Feldern wie sie Handy-Nutzer nicht fürchten müssen.

EMF aus Basisstationen beeinflussen geringfügig selbst das Verhalten beim Vieh, wie die im Herbst 2000 vorgelegte Rinderstudie des bayerischen Umweltministeriums ergab. Tierärzte nahmen 38 Höfe in Bayern und Hessen unter die Lupe. Ganze acht der Bauern ließen die Tiere auf die Weide. Bei ihnen waren Milchleistung, Fruchtbarkeit und Schlafhormonausschüttung normal. Doch die vier Weideherden, deren Höfe am stärksten strahlenbelastet waren, kauten deutlich weniger wieder. Einige der beteiligten Forscher interpretieren dies als "Ausdruck eingeschränkten Wohlbefindens" infolge des Elektrosmogs.

Besonders heftig streitet die Fachwelt um die Krebs fördernde Wirkung der EMF. Im Frühjahr 1997 machte ein Experiment des australischen Biologen Michael Repacholi Schlagzeilen. Er hatte - pikanterweise im Auftrag der Telefongesellschaft Telstra - Mäuse mit handytypischer Strahlung traktiert. Von ihnen erkrankten mehr als doppelt so viele an Lymphknotenkrebs wie Tiere einer unbestrahlten Kontrollgruppe.

Nur: die Mäuse waren genmanipuliert - sie trugen ein Gen, das Krebs auslöst. Deshalb erklärte Repacholi, der heute das International EMF Project der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leitet, das Versuchsergebnis sei nur mit Vorbehalt auf den Menschen übertragbar. Drei andere Gruppen scheiterten danach bei dem Versuch, das Experiment zu wiederholen, zwei Folgestudien in Italien und Australien laufen noch bis Ende 2001.

Ohne eindeutiges Resultat blieb auch eine der größten Studien über Mobiltelefone und Gesundheit. Vorgelegt hat sie im Mai 2000 die britische Independent Export Group on Mobile Phones, eine Gruppe von Biologen, Ärzten, Physikern und Elektroingenieuren Die Ergebnisse:
• Handy-Strahlung beeinflusst auch unterhalb der gültigen Grenzwerte kognitive Funktionen und Hirnwellen
• Die bisherigen Erkenntnisse lassen kein erhöhtes Krebsrisiko erkennen, können es aber auch nicht ausschließen
Für abschließende Aussagen seien Handys noch nicht lange genug im Gebrauch.
Jugendliche bis 16 Jahre, mahnt der Studienleiter William Stewart, sollten vorsichtshalber gar nicht mobil telefonieren. Auf Grund ihres dünneren Schädels und des noch in Entwicklung befindlichen Nervensystems seien sie einem größeren Risiko ausgesetzt als Erwachsene.

Erst allmählich kristallisieren sich mögliche Krebs fördernde Mechanismen heraus. So fand Wolfgang Löscher, Pharmakologe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, beschleunigtes Brustkrebswachstum bei Mäusen, die einem Niederfrequenzfeld ausgesetzt waren. Die Tiere wiesen einen signifikant geringeren Spiegel des Hormons Melatonin auf als die einer Vergleichsgruppe.

Den Verdacht, dass EMF dessen Bildung in der Zirbeldruse verringern, hegen Mediziner schon länger. Es steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus, bremst aber auch das Wachstum von Tumoren. "Fehlt Melatonin, reichern sich freie Radikaie in den Zellen an - das Risiko von Schäden, die zu einer Krebserkrankung führen, steigt", erklärt der Pathologe Eduard David von der Universität Witten/Herdecke.

Eine Studie von 1998, initiiert vom US-Industrieverband Wireless Technology Research Group (WRT) erbrachte Hinweise auf Erbgutveränderungen in weißen Blutkörperchen durch EMF, was frühere Experimente anderer Forscher bestätigt. Sie hatten berichtet, handy-ähnliche Strahlung habe unter anderem in Hirn und Hoden von Versuchstieren Brüche der Erbsubstanz DNS bewirkt.

Letztlich aber meint der Physiker Gerard Hyland von der Universität Warwick seien die typischen Pulse Hauptursache des Übels. Sie liegen im gleichen Frequenzbereich wie die Hirnwellen und geraten so mit diesen in Resonanz' sagt er "Wie leicht dabei etwas schief geht, zeigen die Epileptiker bei denen Stroboskoplicht Anfalle auslost " Es sei falsch, nur die biochemischen Funktionen des Körpers zu betrachten, schließlich würden viele neuronale Prozesse elektrochemisch kontrolliert. Störungen der elektrischen Aktivität könnten etwa die Hormonausschüttung verändern.

Dem Briten mit der markanten Mähne gilt der Mensch als "elektromagnetischer Apparat" par excellence. Hyland: "Die EMF- Empfindlichkeit hängt vom physiologischen Status ab, der sich etwa durch Stress, aber auch tages- und jahreszeitlich ändert. Darum gibt es keine klar definierten Gesundheitsschäden, sondern ein Risiko für eine unbekannte Zahl zunächst nicht identifizierbarer Menschen " Dies erkläre auch die Nichtwiederholbarkeit vieler Versuche. Die Biofrequenzen lebender Systeme können sich verschieben. Wird die gleiche technische Frequenz wieder eingestrahlt, bleibt die Resonanz aus .

James Lin, Elektroingenieur an der University of lllinois in Chicago, sekundiert. Er beobachtete, dass schon sehr

schwache Felder die Kommunikation zwischen Zellen beeinträchtigen können. Wie viele seiner Fachkollegen fordert er deshalb, die Grenzwerte schrittweise zu senken. Lin: "Keine Frage, dass die Handy-Strahlung die Gesundheit gefährdet. Offen ist nur, wie sehr"

Endgültige Antworten soll eine Vielzahl neuer Studien geben, die derzeit in etlichen Ländern laufen. Die größte ist das International EMF Project, durchgeführt von acht internationalen Instituten, 40 nationalen Behörden sowie acht "kooperierenden Zentren". Ihre Forscher wollen bis 2005 vorwiegend in den USA und Europa 12 000 Probanden zu ihren Kommunikationsgewohnheiten befragen. Dann soll sich zeigen, ob eine Generation hirngeschädigter Zombies heranwächst oder ob die schone neue Mobilfunkwelt wirklich so heil ist, wie es Handy-Hersteller und Netzbetreiber versichern.

MICHAEL ODENWALD

INFORMATIONEN ZUM STRAHLENRISIKO
Internet-Adressen mit Forschungsergebnissen und Tipps zum Schutz vor der Handy-Strahlung
• Elektrosmog-Report: www strahlentelex de
• Bürgerinitiative Burgerwelle: www buergerwelle de
• Forschungsgemeinschaft Funk: www fgf de
• Beratungs- und Messstelle Elektrosmog. Wissen schaftsladen Bonn e V www wilabonn de/esmog htm
• Belastungsdaten gängiger Handys (SAß Werte) Stiftung Better Electromagnetic Environment wwwbemi se/founder/clips/cellularSAR htm]
• Infodienst SAR Data: www.sardata.com/sardata htm

Focus 5/2001
www.buergerwelle.de