Quelle: Publik-Forum
14/2002, Artikel von Antje Bultmann, übermittelt von Matthias Engelbrecht am
31.07.2002; Nachricht von Jörg Wichmann
Wissenschaftler wiesen die Schädlichkeit von Mobilfunk nach. Dann wurden sie unter Druck gesetzt.
Von
Antje Bultmann
Mobilfunk
– das bedeutet vor allem Massenmarkt. Die Frage, welche gesundheitlichen
Schäden er verursacht, ist deshalb vor allem bei den Anbietern mehr als
unbeliebt. Das bekamen in jüngster Zeit auch Wissenschaftler zu spüren, die –
oft zufällig – bei ihren Forschungen zu Ergebnissen kamen, die den
Mobilfunk-Interessenten nicht ins Konzept passen.
Zum
Beispiel der Naturwissenschaftler Lebrecht von Klitzing. Als Leiter der
Klinisch- Experimentellen Forschungseinrichtung der Universität Lübeck stellte
er bei Untersuchungen für eine Studie bereits 1992 fest, dass gepulste
Mikrowellen auch bei geringen Leistungen das Elektroenzephalogramm des Menschen
verändern. »Es könnte sein, dass die intrazelluläre Kommunikation gestört wird.
Die wissenschaftliche Erklärung ist schwierig«, kommentierte Klitzing damals
vorsichtig. Dann untersuchte er als erster Wissenschaftler den Einfluss
elektromagnetischer Felder auf das menschliche Gehirn. Seine
Forschungsergebnisse gefielen nicht nur den Mobilfunkbefürwortern nicht,
sondern auch Kollegen an der Universität. Mehr und mehr fühlte sich Klitzing
gemobbt. Unter anderem wollte der Dekan, dass Klitzing eine Einladung verschiedener
Ausschüsse des Bundestages ausschlägt. Dort sollte er einen Vortrag über seine
Forschung halten. Nur weil Nichtregierungsorganisationen protestierten, konnte
er den Termin wahrnehmen. Jüngst sah er sich veranlasst, in Rente zu gehen.
Seine Studienergebnisse seien nicht reproduzierbar, heißt es. Man wisse nicht,
ob die Versuchspersonen bei der »Bestrahlung« geschlafen oder an Mozart gedacht
hätten. Klitzing bot an, den Versuchen beizuwohnen. Dafür hat sich keiner
interessiert. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien – auch von der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin – die zeigen, dass
Mobilfunkwellen auf Gehirn und Nervensystem einwirken.
Relevant
sind auch die Studien von Professor Peter Semm vom Zoologischen Institut der
Universität Frankfurt. Dem Neurobiologen erging es nicht besser als Klitzing.
Nachdem er auf einem Kongress der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über
den Einfluss elektromagnetischer Felder auf Vögel berichtet hatte, meldete sich
die Telekom bei ihm und bot ihm an, für sie zu forschen. Da sein
Heisenberg-Stipendium auslief, nahm Semm das Angebot 1994 an. Er bestrahlte
Tauben mit gepulsten Mobilfunk-Frequenzen und untersuchte die
Melatonin-Produktion. Anhand halbstündlicher Blutproben konnte er nachweisen, dass
die nächtliche Produktion des Hormons unterdrückt wurde. »Es kam zu einem
deutlich messbaren Einfluss«, so Semm. Er bestrahlte außerdem Zebrafinken mit
einer Leistungsflussdichte weit unterhalb des Grenzwertes für Handys.
Normalerweise ändern Zellen von Zebrafinken, die Licht, Farben oder Bewegung
wahrnehmen, die Frequenz ihrer Nervenimpulse um bis zu zehn Prozent. Dagegen
reagierten die Nervenzellen der Zebrafinken völlig unerwartet mit einer
Abweichung um 60 Prozent. Bei den Versuchen waren etwa ein Dutzend Mal fünf
Mitarbeiter der Telekom anwesend. »Die haben das alles verfolgt«, berichtet
Semm, »von der Präparation des Tieres bis zum Ergebnis. Irgendwann haben sie
gesagt: ›gut‹. Die Ergebnisse waren deutlich und reproduzierbar. Der Streit
ging los, als ein Herr Kühn von der Forschungsgemeinschaft Funk sagte: ›Die
Ergebnisse sind okay. Aber die Studie publizieren, das möchten wir nicht.‹ Kühn
berief sich dabei auf meinen Arbeitsvertrag.« Semm wehrte sich. »Danach erhielt
ich Abmahnungen und bald darauf die Kündigung und Hausverbot bei der
Forschungsgemeinschaft Funk.«
Melatonin
ist ein Hormon, das Wachstum bestimmter Tumore hemmt. Seine Reduktion kann das
Risiko von Brust-, Gebärmutter und Prostatatumoren fördern. Es hat außerdem
Einfluss auf den Schlaf. Eine Veränderung des Melatonin-Haushalts kann
Depressionen zur Folge haben, es wirkt auf den Blutdruck oder das Immunsystem.
Studien, die zeigen, dass die Melatoninproduktion gehemmt wird, sind deshalb
brisant.
Auch
in Frankreich und Spanien hat man verhindert, dass Wissenschaftler weiter zum
Thema forschen. Professor Roger Santini von der Universität Villeurbanne in
Frankreich wurden im Herbst 2001 die Forschungsmittel gestrichen. Er hatte
Untersuchungen in der Nähe von Mobilfunksendern durchgeführt und erhebliche
Gesundheitsbeeinträchtigungen bei 530 Anwohnern dokumentiert. Der Direktor
teilte ihm mit, dass seine Arbeit über Mobiltelefone und
Mobilfunk-Basisstationen »nicht Thema seines Labors« sei. Er verbot ihm, seine
Ergebnisse publik zu machen. Santini erforscht seit 22 Jahren den
Bio-Elektromagnetismus.
Aktuell
ist auch der Fall des spanischen Arztes und Chemikers Claudio Gomez Peretta. Er
musste vor kurzem auf Druck der Mobilfunklobby seine Untersuchungen über
schädliche Auswirkungen elektromagnetischer Wellen einstellen. Ansonsten – hieß
es – habe er mit Sanktionen zu rechnen. Die Begründung: Peretta, Leiter der
Suchtabteilung, sei »nicht offiziell ermächtigt«, diese Forschung
durchzuführen. In der Region Valencia führt jetzt nur noch eine Firma Messungen
durch, die von dem Elektrounternehmen Iberdrola finanzielle Zuwendungen erhält.
Und gerade hier tauchten in jüngster Zeit überdurchschnittlich viele Fälle von
Leukämie unter Kindern auf.
Ähnliche
Erfahrungen machte auch der Epidemiologe George Carlo aus Washington. Er war
früher Direktor eines Mobilfunkunternehmens und gefürchteter Gutachter für die
Industrie. Er untersuchte von 1993 bis 1999 im Auftrag von 28
US-Telefonunternehmen die Auswirkung des Mobilfunks. Seine Bilanz:
Handybesitzer sterben häufiger an Gehirntumoren als Menschen, die nicht mit
Mobilfunk telefonieren. Die 27 Millionen Dollar teure Studie durfte nicht
veröffentlicht werden. Carlo wandte sich aber an die Öffentlichkeit und begann
Krankheitsgeschichten – von Handybenutzern, Anwohnern von Sendern – in einer
Datenbank zu speichern. Ein Versuch der Mobilfunkbetreiber, dies per Gericht zu
stoppen, scheiterte. Carlo warnt: »Wir sind in einer Grauzone, in der wir nie
waren. Es ist das Beste, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Firmen geben
jetzt übrigens Millionen Dollar aus, nur um mich zu diskreditieren.«
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